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552 Psychische Studien. XXVIII. Jahrg. 9. Heft. (September 1901.)
denselben hier abermals, in Extraform, vorzuführen. Der
geneigte Leser, der die Mühe nicht scheut, muss sich da
schon selbst hineinstudieren. Ich will nur auf drei Hauptpunkte
aufmerksam machen, die für das Verständniss meiner
Auseinandersetzungen unerlässlich sind. Erstens behaupte
ich, dass jeder Mensch nach Lust, beziehungsweise Glück
strebt und sein Verhalten, soweit ihm sein Naturell dies
gestattet, demgemäss einrichtet; zweitens, dass die Menschheit
(der „ununterbrochene Mensch", wie sie in meiner
Schrift heisst) sich ebenso verhält, mit dem Unterschied,
dass für sie die Hindernisse nicht vorhanden sind, die
dem Einzelnen aus seinem Naturell erwachsen können.
I ndem sie ihr V e r h a 11 e n dem Glückserwerb, auf den
sie ausgeht, gemäss einrichtet, richtet sie die gesammten
(politischen, öconomischen, socialen) Verhältnisse
der Menschen-Wirthschaft, bald langsam reformirend, bald
umwälzend oder revolutionär umstürzend, demgemäss ein.
Drittens, unter Glück ist die vollste Ich-Bejahung innerhalb
der durch den Lebensprozess selbst gesetzten
Bedingungen zu verstehen. Der letztere
Zusatz ist wichtig, weil ich durch ihn den Beweis zu führen
versuche, dass die Menschheit, indem sie ihren Glückszustand
vermehrt, dies nur dadurch thun kann, dass sie
gleichzeitig an sittlichem Fonds — an Gerechtigkeit und
Güte im Verhalten von Mensch zu Mensch — zunimmt*)
Indem ich den grössten Theil meiner Schrift den hier
erwähnten Nachweisen, theilweise sehr eingehend, gewidmet
habe, gewinnt es den Anschein, als ob für mich die Aufwärtsbewegung
der Menscheit an und für sich — vielleicht
als tbeorethisches Problem, ob oder ob nicht — die Hauptsache
sei. Das ist nun keineswegs der Fall. In der Feuer-
back-Periode stand diese Frage ganz besonders in dem
Vordergrund Denn der zukünftige Himmel auf Erden galt
damals als Ersatz für den himmlischen Himmel, gegen den
der Philosoph ebenso wie gegen den „üppigen Traum der
Unsterblichkeit" seine Geschosse richtete. Allein die Zeiten
haben sich geändert. Das in dieser Richtung liegende
Interesse ist meistens geschwunden. Für mich hat, wie
schon erwähnt, die betreffende Frage, für die ich mich
sonst kaum sehr erwärmen würde, die eine wesentliche
Bedeutung, dass sie mir als Bestätigung der Annahme
*) Darin liegt u. A. einbedungen, dass der heutige Kriegszustand
der Völker, die oconomisehe Vergewaltigung durch den bestehenden
Concurrenz - Verkehrsstaat und die Hypertrophie des
Privateigentums mit ihrem vergiftenden Siechthum auf dem geschichtlichen
Aussterbeetat stehen.
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