http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1901/0564
554 Psychische Studien. XXVI1T. Jahrg. 9. Heft. (September 1901.)
Wer sich meiner Auffassung anschliesst, gewinnt daher
nichts, als dass er sich von einem Seinsinhalt umgeben
und getragen weiss oder getragen zu sein glaubt, der, ich
möchte sagen, in's Grosse geht, für den die Sfrauss*sehe
Formel zu eng ist, der einen Athemzug von der unendlichen
Grösse des Weltenseins im Verhältniss zu der unendlichen
Kleinheit unseres Begreifens in sich trägt. Ob ihm das
viel oder wenig bedeutet, hängt von seinem inneren Menschen
ab. Wer ganz in Handel und Wandel, in Raffen und
Schaffen, in Leben und Lieben aufgeht, dem wird es nichts
bedeuten, denn ihn kümmert das Weitensein und sein Verhältniss
zu demselben überhaupt nicht. Soll es ihm viel
bedeuten, so gehört schon ein stark transcendentaler Zug
dazu, von dem allerdings in der auf die diesseitigen Interessen
principiell und wesentlich concentrirten heutigen westeuropäischen
Menschheit nur wenig zu verspüren ist. —
Der Kritiker meines Buchs im B. T. sagte, ich sei
Optimist. Er hätte ebensogut hinzufügen können, ich sei
Determinist und Socialist und Occultist. Denn in einem
gewissen eingeschränkten Sinn bin ich auch das Letztere.
Er fügte hinzu, ich predige Ergebung und Erhebung. Ich
beanstande diesen Ausdruck, weil ich überhaupt nicht
predige. Ich verzeichne aber allerdings als den persönlichen
Eindruck meiner Auffassung sowohl das Eine wie das
Andere. Wie an einer einzigen grossen Kette (dem Oausal-
Zusammenhang) befestigt an und getragen von der Seins-
schienenen Schrift: „Versuch einer monistischen Begründung der
Sittlichkeitsidee. Ein Beitrag zum Culturkampf % Seite 18, feststellte)
damals mindestens sehr wahrscheinlich erschien, dass mit der
Auflösung der körperlichen Hülle auch die „ Geist" genannte Lebenskraft
erloschen sei, so hat sich inzwischen — dank den von der
exakten Wissenschaft schliesslich selbst anerkannten Erfahrungsbeweisen
über hypnotische und verwandte Erscheinungen, sowie
der darauf basir* en Tran sseendentalpsychologie — das Verhältniss
dieser Wahrscheinlichkeitsberechnung allmählich geradezu
umgekehrt. Hierin liegt eben die hohe Bedeutung des Ex-
perimental-Spiritismus für die Zukunft, und so erklärt es sich,
dass heutzutage die Annahme der Unzerstörbarkeit des sich zu
immer klarerem Bewusstsein fortentwickelnden seelischen K ei jus
unserer Individualität, auch wenn man die spezifisch „spiritistischen
" Phänomene animistisch deuten will, sogar von den besonnensten
Vertretern akademischer Wissenschaft aller Lander —
wir nennen nur den englischen Physiker 0. Lodge - als sehr plausibel
bezeichnet wird. — Im Uebrigen können wir dei Tendenz des
oben besprochenen Buches nur freudig zustimmen und betrachten
es als sein besonderes Verdienst, die sittliche Pflicht und die
logische Berechtigung des Höherstrebens von allen, ein sobjektiv
verschiedenes Mass des Plus oder Minus für die Wahrscheinlichkeit
entgegengesetzter Weltanschauungen ergebenden Theorien
losgeschält zu haben. — Dr. hi\ Maier.
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1901/0564