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W—Erdensolm: Kirchliches Christenthum und Spiritualismus. 559
und knechtet das kleine, betriebsame, freiheitsliebende, ehrenhafte
und gottvertrauende Volk der ßoers in Transvaal und
dem Orange-Preistaat, um ihnen ihre Goldgräbereien und
Diamantengruben zu entreissen. Aus habsüchtigen Motiven
verfolgt es das arme ßurenvolk schon lange Jahre hindurch,
vertreibt es von Land zu Land und ist unersättlich in seiner
Habgier. Und die ganze Welt schaut zu und lässt es ungestraft
geschehen: es giebt keinen Richter auf Erden, der
ein gewaltsames Volk abhalten könnte, ein anderes zu unterjochen
, aber der Himmel wird dafür richten.*) Zwar zieht
ein unwilliges Murren durch den besseren Theil der christlichen
Völker, solche ungerechte Gewaltsamkeit entrüstet
missbilligend, ohne aber Macht und Einfluss auszuüben auf
die Politik der christlichen Länder, die von den unreinsten
Beweggründen, von herzloser Berechnung und Habgier geleitet
wird, noch immer dem traurigen Wahlspruch huldigend:
,,Macht geht vor Recht." Noch immer bethätigt sich straflos
dasselbe Recht des Stärkeren gegenüber dem Schwachen,
dieselbe unbändige Gier nach Raub und Beute, mit der
sich ein grosser Hund auf einen kleinen stürzt, um ihm
einen Leckerbissen zu entreissen (verzeihen Sie das triviale
Beispiel!)
Die Christenlehre fordert neben der Alles verzeihenden
Liebe Gerechtigkeit und wird auch die Völker gewisslich
noch zur Anerkennung der Menschlichkeit und Billigkeit
führen, denn was es Gutes auf Erden giebt, das haben wir
ihr zu verdanken.**) So lange aber das äusserliche, das Scheinchristenthum
in Kraft stehen wird, so lange wird es schlecht
bestellt sein in der Welt, so lange wird Völkerhass und
Gewaltsamkeit vorherrschen. —
Aber kehren wir zurück zu der Person Christi Es hat
Menschen gegeben, die als Sittenlehrer und Weise hoch
standen über der Alltagsmenschheit, aber so hoch, wie er,
keinen; auch keiner von ihnen war mit solchen wunderbaren
geistigen Eigenschaften, mit so aussergewöhnlicher sittlicher
und unmittelbar persönlicher Macht, mit so gewaltiger Krait
der Rede (Matth. 7, 29), solcher Schlagfertigkeit in der
Antwort,***) solcher Klarheit des höheren Bewusstseins begabt
und mit so magischem Zauber seines ganzen liebreichen
Wesens ausgestattet, wie er.
*) Auch von Völkern begangene Verbrechen rächen sich, wie
beim einzelnen Mensehen, unvermeidlich; daher nennt Schüler die
Weltgeschichte das Weltgericht.
**) Obige, wie uns scheint, viel zu weit gehende Behauptung findet
sich durch die allgemeine Kulturgeschichte keineswegs bestätigt. Be d.
***) Es sei nur erinnert an Job. 8, 7.
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