http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1901/0574
564 Psyohisebe Studien. XXVIII. Jahrg. 9. Heft. (September 1901.)
die Zukunft, weit hinaus über das Grab, welches nur das
Ende einer kurzen Periode — unseres irdischen Lebens —
bedeutet; das Geistesleben, befreit von lästigen Fesseln,
beginnt erst nach demselben, wie es, für uns in gegenwärtiger
Existenz uubewusst, vor dem irdischen Dasein schon bestanden
hat.
Ich denke da an eine Stelle aus einem im kirchlichen
Sinne leichtsinnigen Liede („Lied zum Champagner"*) des
Dichters und Verfassers des Buches „Die Seherin von Pre-
vorst", Justinus Kerner, meines ausgesprochenen Lieblings):
fWenn der Pfropf sich einst entreisst
Euren ird'schen Hüllen,
Wohin dann entflieht der Geist,
Macht euch keine Grillen.
Glaubt mir, meine Lieben, nur:
Er wird nicht verkommen,
In dem Kelche der Natur
Schaffend aufgenommen.u
Unser befreiter Geist wird sich dann schon dahin
wenden, wohin uns unsere Neigungen und Sympathien ziehen.
Schliesslich danke ich Ihnen herzlich für Ihre freundliche
Gesinnung, die Sie meinem Buche „Dasein und Ewigkeit
" entgegenbringen, und für Ihr mir sehr werthes Vertrauen
. Ich fühle mich durch dasselbe sehr beehrt und
sympathisch berührt, ja mehr: es hat mich aufrichtig gerührt.
Möge der „liebende Vateru Ihnen dazu verhelfen, dass
es recht sonnig werde in Ihrem Gemüth, dass Sie siegreich
aus Ihren Zweifeln hervorgehen und den ersehnten Frieden
der Seele finden! Ergebenst W— Erdensohn.
*) Glauben Sie, geehrtes Fräulein, deshalb nicht etwa, dass ich
ein leichtsinniger Schwelger bin; ich gebe, im Gegentheil, meiner
Natur nach sehr wenig auf Speise und Trank, die mir desto lieber,
je einfacher sie sind. Nur ihrer Sinnigkeit wegen eitire ich die beigefügten
Verse. Dieselben kennzeichnen pich, trotz ihres burschikosen
Anstriches, doch durch die gemüth volle Tiefe, die den meisten der
iiV/v/tf/^schen Dichtungen eigen ist. Das Scherzhafte und Derbe vereint
sich oft wohlthuend mit dem Ernsten: sie schaden einander nicht.
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1901/0574