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594 Psychische Studien, XXVIII. Jahrg. 10. Heft. (Oktober 1901.
getheilt. Der Berichterstatter hat es aus dem Munde einer
Goethe sehr nahe stehenden Person vernommen, welcher der
Dichter es selbst erzählt hat. An einem Sonntag Vormittags,
im Sommer des Jahres 1824, sah 6?., als er aus seinem
Gartenhause trat und sich nach der Stadt begeben wollte,
eine Mädchengestalt, welche den Platz vor dem Hause
kehrte. Sie gab auf die Fragen, welche Goethe an sie richtete,
keine Antwort und löste sich verschwindend in den Strahlen
der Sonne auf. Nach derselben Quelle soll sich im Stadthause
unter Goethe's Arbeitszimmer hin und wieder ein
Klopfgeist haben vernehmen lassen. —
Zwei weitere mystische Ereignisse in Goethe'* Leben
erzählt Natalie von Eschstruth in ihrem Buche „Spuk/* Im
einen Falle handelt es sich um ein zweites Gesicht, das G.
auf einem Spaziergange nach Belvedöre gehabt. Er sah
plötzlich seinen in Prankfurt vermutheten Freund Friedrich
m seinem (Goethe^) Schlafrock und seinen Morgenschuhen
auf der Strasse vor sich. Zu Hause angekommen,- fand G.
den inzwischen plötzlich eingetroffenen und vom Regen
durchnässt gewesenen Freund in dieser unerwarteten Bekleidung
auf dem Sopha vor. Der Freund hatte, nachdem
er erfahren, dass G. nach Belvedöre gegangen, ihn in Gedanken
lebhaft verfolgt und war dann auf dem Sopha eingeschlummert
. — Das andere, von N. v. E. berichtete Erlebniss
Goethe'* betrifft eine Spukerscheinung auf dem Schlachtfeld
von Jena. Die Erzählerin hat die beiden Vorkommnisse
aus dem Munde des Geheimraths K. vernommen, der sich
beide Male an Goethe'* Seite befand, K. hat indessen im
ersteren Falle nichts gesehen, so da<?s es sich also nicht
um den wirklichen Doppelgänger Friedrich'*, sondern nur
um eine Vision Goethe1* handelte. Den Jenaer Spuk (eine
französische Schildwache) will aber auch K. beobachtet haben.
Dass diese beiden Erlebnisse Goethe'* auch in weiteren
Kreisen bekannt waren, wurde N. v. E. von einem anderen
Zeitgenossen des Dichters, dem Hofrath G. in Jena, bestätigt.
Zu Goethe'* Erlebnissen kann man in gewissem Sinne
auch die merkwürdige Erscheinung rechnen, dass nach dem
Tode des Einzigen von verschiedenen Personen eine räthsel-
hafte Musik gehört wurde, die dem Einen wie Orgelton,
dem Anderen wie Gesang, dem Dritten wie Klavierspiel
vorkam; sie ertönte bald mit längeren, bald mit kürzeren
Pausen, bald an diesem, bald an jenem Orte, doch immer
m Goethe** Hause oder dicht daneben oder darüber. Dabei
war es ausgeschlossen, dass die Töne aus einem benachbarten
Hause kommen konnten. —
Wenn Goethe in seinen Werken von mystischen Dingen
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