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604 Psychische Studien. XXVIII. Jahrg. 10. Heft (Oktober 1901.)
keitsgrade beschränkte, dass das Bewusstsein, der Geist
seine relative Selbstständigkeit verlor, kein Unterkommen
fand und zur Stofffunetion herabsank. Zwischen diesen
beiden Extremen pendelte halt- und grundlos die Psychologie
hin und her, vermochte nicht aus eigenem Vermögen
zur Euhe zu kommen, um von da aus ebenso die Steppen
eines unfruchtbaren, in der Luft hängenden Spiritualismus,
wie die Abgründe eines geistlosen Materialismus zu vermeiden.
Die Welt kann ebensowenig von Gott als einem absoluten
reinen Geist geschaffen sein, wie ja auch ein solcher Geist
nur ein erschlichener Begriff, ein Gedankenunding ist; noch
kann die Welt ein mittelst mechanischer Gesetze, die auch
nur ein erschlichener Factor sind, so lange man nicht zu
sagen vermag, wer sie gesetzt hat, entstandenes Entwickel angs-
product der Materie sein. Sondern die geschaffene oder
gewordene Welt offenbart in aller ihrer Fülle und Mannigfaltigkeit
das unsichtbare Sein ewiger Kraft und zwecksetzender
Intelligenz, und also hat auch die menschliche
selbstbewusste Seele, in welcher erst das göttliche Bewusstsein
an sich zum gegensätzlichen Selbstbewusstsein gelangt,
Theil ebenso wie am göttlichen Bewusstsein, so auch an der
organisirenden göttlichen Kraftpotenz, welche sich als
Bewusstseinsträger der Organismus aufbaut. Damit hätte
ich mir, unter Leitung der paulinischen Definition des
göttlichen Wesens, einen Privatweg gebahnt, auf welchem
ich zu der bekannten Definition der menschlichen Seele
gelangt bin, welche derselben denkende und organisirende
Thätigkeit, Bewusstsein und Astralleib beilegt. Damit wäre
ich aber auch bei der Transseendentalpsyehologie angelangt,
welche Hellenbach und namentlich du Prel so widerspruchsfrei
ins System gebracht haben, in ein reich gegliedertes System,
weiches Carl du Prel ein Jahr nach Herausgabe seiner
„Monistisehen Seelenlehre" zu seinem höchsten Erstaunen,
wie nicht minder zu seiner grössten Genugthuung bestätigt
fand in Immanuel Kants Vorlesungen über Metaphysik.
Dieselben fehlten in der Gesammtsausgabe der Werke Kants
und waren trotz eines ersten Druckes im Jahre 1821 ganz
in Vergessenheit gerathen, konnten geradezu als verschollen
betrachtet werden, du Prel hatte wohl Kenntniss von jenem
ersten Drucke, konnte sich das Buch aber, da er es auch
in der Münchener Staatsbibliothek nicht fand, erst nach
langem Suchen antiquarisch verschaffen. Er schreibt: „Ich
war wie aus den Wolken gefallen, als ich Kant in einer
Weise speculiren sah, wie wenn ihm die Thatsachen der
modernen Mystik bekannt wären, und in seiner Psychologie
die wesentlichsten Punkte fand, die in meinen eigenen
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