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Gubalke: C. du Prel und Im. Kaufs Seelenlehie. 607
Geradezu unerlaubt und unbegründet ist es aber, Carl
du Prel als einen Atheisten zu denunziren, nicht als ob ich
darin einen sittlichen oder intellektuellen Vorwurf sähe,
durch welchen seine Bedeutung als Philosoph und Trans-
scendentalpsychologe geschmälert werden könnte, sondern
weil es weder hierher gehört, noch wahr ist. Ich bestreite,
dass in seinen sämmtlichen Schriften auch nur eine Stelle
zu finden ist, auf welche sich dieser Vorwurf gründen liesse.
Sondern es wiederholt sich hier das leidige Schauspiel wie
bei dem grossen Wolf gang Goethe, den man den grossen
Heiden zu nennen beliebte, und von dem sein treuer
Ecuermann sagt: „Widersacher haben ihn oft beschuldigt,
er habe keinen (ilauben. Er hatte aber blos den ihrigen
nicht, weil er ihm zu klein war. Wollte er den seinigen
aussprechen, so würden sie erstaunen, aber sie würden ihn
nicht fassen." Thatsächlich erreicht der Vorwurf des
Atheismus Carl du Prel so wenig, wie etwa mich die Beschuldigung
, ein Buddhist zu sein. Aber um zu verhüten,
dass ängstliche Gsinüther unter den Spiritisten an du Prel
irre werden und ihnen das Vertrauen zu dem noch von
keinem Grösseren überholten Bahnbrecher und Begründer
der Transscendentalpsychologie genommen werde, das sie
brauchen, um von ihm auf diesem schwierigen, occulten
Gebiet sich orientiren zu lassen, und um anzuregen, dass
du Prel weit mehr noch als bisher gelesen, studirt werde,
sowie dass man gewissenhafter,, als es geschieht, versuche, mit
seinen Folgerungen auszukommen, um deswillen habe ich
mir heute vorgenommen, die geradezu wunderbare Ueber-
einstimmung seiner Transscendentalpsychologie mit den
hundert Jahre vorher gehaltenen Vorlesungen Kaufs über
Psychologie naohzuwefsen. Freilich geht auch diese meine
Kärrnerarbeit nur an die Adresse derjenigen, welche Kaufs
unsterbliche Kritik des menschlichen Erkenntnissvermögens,
seine Scheidung eines Dinges an sich und in der Erscheinung
nicht im Banne der mittelalterlichen, scholastischen Philosophie
als „eine grosse Dummheit" abthun zu können wähnen.
Der 80 jährige Goethe sagt in seinen Gesprächen mit
Eckermann: „Mit genialen Naturen hat es eigne Bewandt-
niss; sie erleben eine wiederholte Pubertät, während andere
Leute nur einmal jung sind. Daher kommt es, dass wir bei
vorzüglich begabten Menschen auch während ihres Alters
immer noch frische Epochen besonderer Productivität wahrnehmen
; es scheint bei ihnen immer einmal wieder eine
temporäre Verjüngung einzutreten, und das ist es, was ich
eine wiederholte Pubertät nennen möchte." Also halte ich
es auch einem tiefsinnigen Genie gegenüber, wie Immanuel
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