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Wernekke; Eine Experimentalsitzling mit Eusapia Paladino, 629
Zunächst macht John sich noch mit mir zu thun. Mein
Stuhl wird langsam nach hinten gezogen, und da ich mich
dabei etwas über den Tisch beuge, bringen zwei mächtige
Hände meinen Oberkörper wieder in gerade Haltung. Mein
linker Fuss, der beständig den einen Fuss des Mediums
kontrollirt, befindet sich hinter dem Tischbein; John*s Hand
schiebt ihn bei Seite und zieht mich darauf am linken Arme;
ich folge mit dem Oberkörper, merke aber, dass dies seiner
Absicht nicht entspricht. Ich frage, ob ich etwa aufstehen
soll. Ein paar leise Schläge auf meine Schulter geben mir
John's Zustimmung zu erkennen. Nun wird mein Stuhl nach
rechts geschoben; die beiden Hände fassen mich wieder an
den Schultern, ich verstehe, dass ich mich setzen soll, —
jedoch so, dass meine linke Seite über den Stuhl hinaus
reicht, Darauf wird meine linke Schulter an eine mächtige
Mannesbrust gelehnt, ein Bein presst sich an mein linkes
Bein; ich werde gewahr, dass John mich die Grösse seiner
Gestalt fühlen lassen will. Denn jetzt drückt sich auch ein
vollständig ausgebildeter Kopf an meinen Kopf; ich spüre
den warmen Athem. Der Kopf dreht sich so, dass ich das
kurze, struppige Haar fühlen kann. Dann beugt er sich so,
dass ich gegen den Lichtschein vom Fenster sein Profil
sehen kann. Soweit ich frei beweglich bin, versuche ich mit
dem Ellbogen die Brust, an die ich gepresst bin, zu untersuchen
. Es ist der vollkommen materialisirte Thorax eines
Athleten. —
Nachdem ich wieder frei geworden, fühle ich, wie der
Druck von der Hand des Mediums stärker wird, offenbar
um meine Aufmerksamkeit wach zu erhalten. Eine schmale
Hand berührt mich, erst an der Stirn, dann an der linken
und rechten Schulter, dann an der Brust: sie hat das Zeichen
des Kreuzes über mich gemacht. Ich fühle sie dann an meinem
Munde und küsse sie ehrerbietig; es ist eine Frauenhand.
Sie streichelt mir das Gesicht, zwei Arme legen sich um
meinen Hals, und ein Mund drückt sich auf meine Lippen.
Gerührt erwidere ich den Kuss. Ich spüre, wie die Lippen
sich abmühen, ein Wort hervorzubringen, — die Erschöpfung
des Mediums verhindert eine vollkommenere Materialisation.
Ich bitte John dringend, mir zu sagen, wer die Frauengestalt
ist. Endlich werden ganz schwach, aber deutlich
zwei Worte im Dialekt hervorgebracht — für mich eine
Enthüllung aus dem Jenseit Die Anwesenden haben die
Worte ebenfalls vernommen, auch den Kuss gehört. Eusapia,
in ihren Stuhl zurückgelehnt, drückt noch immer schmerzhaft
meine Hand. Nach wiederholten Umarmungen und
Küssen verschwindet die Gestalt mit einem traurigen ,Addio'.
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