http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1901/0655
Maier: Die psychischen Phänomene vor der Pariser Academie. 645
plötzlich jemand hereinkam und ankündigte, Frau
F. . ., die seit dem 18. Mai die Heimath verlassen
hatte, sei soeben in Blanrac angekommen.
Die Kranke wurde jetzt schleunigst nach Angouleme
geschickt, wo sie Tags darauf von Dr. Fournier untersucht
wurde, der die Portdauer der Empfindungslosigkeit und die
Verengung des Pupillarfeldes konstatirte und der sie am
14. durch starres Anblicken hypnotisirte. Nach Verlauf
von nahezu fünf Minuten schlief sie ein und ihre Glieder
nahmen wieder die kataleptische Steif heit der ersten Krise
an; hierauf gab er ihr die Suggestion ein, sie solle nicht
mehr an die Thätigkeit der Mme. F. ♦. glauben, und weckte
sie dann ziemlich rasch wieder auf, indem er ihr stark auf
die Augenlider blies. Von dieser Epoche an hat er sie nicht
mehr wiedergesehen; aber am 20. November erfuhr er
durch ihre Mutter, sie habe keine Krisen mehr gehabt und
leide nur noch an Magenweh. —
Dies ist das interessante Faktum, das uns Herr
Dr. Fournier vorlegt. Es ist ein seltsamer Fall von Autosuggestion
, die sich nicht auf direkte, sondern auf indirekte
Art vollzieht, weil es die junge Kranke ist, die sich selbst
suggestionirt mit der Idee, dass eine andere Person Einfluss
auf sie habe, ohne dass diese Person sich jemals damit
befasst hätte, freiwillig diesen Einfluss auszuüben. Und doch
sieht sich letztere gezwungen, ihren Heimathort zu verlassen
und ihr Mann, das Amt aufzugeben, das er in der Gegend
inne hatte, bedauerliche Folgen delirirender Einbildungen
einer Hysterischen!
Es kommt bei uns auf dem Lande, fügt Dr. Fournier
hinzu, nicht selten vor, dass gewisse Leute beschuldigt werden,
Kranke zu behexen, und es ist leicht, unter dem mediko-
legalen (bezw. gerichtsärztlichen) Gesichtspunkt die Bedeutung
zu begreifen, welche Beschuldigungen haben können, die von
einer unter einer solchen Suggestion stehenden hysterischen
Person ausgehen.
Dr. Fournier besteht zuletzt darauf, dass seine Kranke
die Erscheinungen des doppelten Gesichts darbot, die er
einer Steigerung der Gesichtsschärfe zuschreibt. Sie
unterschied mit unzweifelhafter Deutlichkeit Münzstücke
in der geschlossenen Hand, und das, sagt
er, bezeuge ich mit allem Nachdruck. Ich konstatirte
Phänomene derselben Ordnung bei einer 18jährigen
Hysterischen, die ich vor zwei Jahren beobachtete. Sie war
durch Suggestion zu der Ueberzeugung gekommen, dass die
Gegenwart einer Nachbarin allmächtig sei, um die nervösen
Anfälle, unter welchen sie litt, zu beruhigen. Diese Nachbarin
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1901/0655