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656 Psychische Studien. XXVIH. Jahrg. 11. Heft (November 1901.)
dem eines todten Menschen oder Thieres ein hochwichtiger
Unterschied besteht, der nämlich, dass im todten nichts
mehr von jenem fühlenden und wollenden Lebensprincip zu
entdecken ist, welches im lebenden vorhanden war. Ist dem
aber so, so muss doch der Leib des letzteren auf irgend
eine Weise der Aufenthaltsort jenes Princips gewesen
sein, man mag sich dagegen, von Sehulbegriffen über Eaum
und ünraum ausgehend, noch so sehr sträuben. Und sobald
wir in die Lebensäusserungen eines gegebenen Individuums
näher eingehen, bestätigt uns die durchaus örtliche Färbung
derselben das Gebundensein der Seele an einen gewissen
Ort im Baume. Warum nimmt z. B. jede Seele zunächst
und hauptsächlich gerade diejenigen Sinneseindrücke wahr,
die ihr von dem Orte aus, in dem sich ihr Leib befindet,
zuströmen? Warum sind ihr die Mondgebirge weniger bekannt
, als die Glieder ihres Leibes, als die Mauern des
Hauses, in welchem letzterer lebt, als die Strassen der
Stadt, zu welcher das Haus gehört, — was doch nicht sein
dürfte, wenn die Seele zu ihrem Körper nicht mehr, als
zum Monde gehörte ? Dergleichen Fragen klingen eher wie
übelangebrachte Spässe, doch ist das nicht unsere Schuld.
Stellen wir nunmehr die Hauptfrage, die nämlich, ob
denn wirklich die Seele, als ein Unräumliches, deshalb zu
keinem bestimmten Ort im Eäumlichen eine nähere Beziehung
haben könne oder müsse? Zunächst dies: in welchem
Sinne ist die Seele als unräumlich zu betrachten? Nicht
blos eine geistige, sondern überhaupt jegliche Kraft ist
stets in einem bestimmten Sinne, d. h. in dem der Kraft
an sich, unräumlich, hingegen im Sinne ihrer Beziehungen
zum Substrat, durch welches sie sich offenbart, — räumlich
also ausgedehnt, Gestalt habend und örtlich. Haben wir
etwa einen leuchtenden Gegenstand, z. B. die matte Glaskugel
einer brennenden Lampe vor uns, so ist dessen Licht,
im Sinne des Unterschiedes seiner Eigenschaften von denen
der Wärme, Elektricität und dergl — ein Unräumliches.
Desgleichen kann jenes Licht, ohne dass sich Ort,
Gestalt und Ausdehnung des Gegenstandes
änderten, zu- oder abnehmen, d. h. es kann sich unter
den nämlichen räumlichen Verhältnissen ein Viel oder Wenig
von Leuchtkraft zeigen, mit anderen Worten in demselben
Substrat können sich Vorgänge von Intensität der Leuchtkraft
abspielen, das nämliche stoffliche Ding kann bald
von wenig, bald von viel Licht durchdrungen werden.
Ausdehnung ist räumliche, d. h. äusserliche Coexistenz;
Intensität ist unräumliche oder innerliche, d. h. durch gegenseitiges
Durchdringen der Kräfte entstandene Co&dstenz.
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