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660 Psychische Studien. XXVIII. Jahrg. 11. Heft. (November 1901.)
wie sie erscheint, sondern so wie sie ist. Demnach besteht
die Trennung der Seele vom Körper in der Veränderung
der sinnlichen Anschauung in die geistige Anschauung, und
das ist die andere Welt. Die andere Welt ist nicht
demnach ein anderer Ort, sondern nur eine andere Anschauung
. Die andere Welt bleibt den Gegenständen nach
dieselbe, sie ist den Substanzen nach nicht unterschieden,
allein sie wird geistig angeschaut." p. 93: „Also ist die
andere Welt nicht dem Orte nach von dieser verschieden;
der Begriff vom Orte kann hier gar nicht
gebraucht werden. Demnach muss auch der Zustand
der Seligkeit oder der Himmel, und der Zustand des
Elends oder der Hölle, welches allein die andere Welt in
sich fasset, gar nicht in dieser sinnlichen Welt gesucht
werden; sondern wenn ich hier rechtschaffen gewesen bin,
und nach dem Tode eine geistige Anschauung von allem
bekomme und in die Gemeinschaft eben solcher rechtschaffener
Wesen eintrete, so bin ich im Himmel. Wenn
ich aber nach meinem Verhalten eine geistige Anschauung
von solchen Wesen bekomme, deren Wüie aller Regel der
Sittlichkeit widerstreitet, und wenn ich in solche Gemeinschaft
gerathe, so bin ich in der Hölle. Zwar kann diese
Meinung von der anderen Welt nicht demonstrirt werden,
sondern es ist eine nothwendige Hypothese der Vernunft."
p. 86 sieht sich Kant zu Folgerungen anderer Art gedrängt:
„Die Mathematik zeigt, dass unser Erkenn tniss vermögen
sich weit über die Grenzen unserer hiesigen Bestimmung
erstrecke. — Es ist gar sehr bekannt, dass alle die Wissenschaften
, wodurch wir unsere Wissbegierde befriedigen, nicht
den geringsten Nutzen für unser Leben in dieser Welt
haben. — Wenn ich nur für diese Welt allein wäre, was
brauchte ich zu wissen: wo ich her bin oder die Welt, und
wer die Ursache dieser Welt sei und wie sie beschaffen ist,
wenn ich nur da bin und leben kann. — Es wäre also
nicht allein unnütz, sondern auch widersinnig, seine Kräfte
über seine Bestimmung, Zweck und Nutzen zu erheben.
Demnach muss ein anderes Leben für uns aufbehalten sein,
wo dieses seinen Zweck und seinen Nutzen hat. — Die
Wissenschaften sind der Luxus des Verstandes, die uns
den Vorgeschmack von dem geben, was wir im künftigen
Leben sein werden."
Zum anderen lehrt Kant ein transscenden-
tales Subjekt und die Gleichzeitigkeit desselben
mit der irdischen Person.
Schon in der „Kritik der reinen Vernunft", in der
Darstellung der dritten Antinomie, Möglichkeit der Causalität
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