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Gubalke: C. da Frei und Im. Kant's Seelenlehre. 665
Das materielle Leben die Ausnahme, das
transseendentale die Regel ergiebt sich für Kant
schon daraus, dass er die Unsterblichkeit als die natürliche
Nothwendigkeit zu leben begreift und dass dieser einzig
mögliche Beweis transscendental ist, Vorl. 78. In den Tr. 17
folgert es Kant daraus, dass, wie oben schon citirt, die
Theile der Welt auch ohne Vermittelung körperlicher Dinge
in wechselseitiger Verknüpfung und Gemeinschaft stehen.
Das Verhältniss der immateriellen Dinge mittelst der Materie
sei daher ein zufälliges, sofern es nicht wesentlich begründet
sei, sondern mit der Geburt einen Anfang, mit dem Tode
ein Ende nehme." — Wäre die irdische Existenz die Regel
und überhaupt nur die einzige und nur einmalige Form
unseres Daseins, dann hätten die Pessimisten Recht, mit
welchen Worten Kant sogar die Reincarnation, die öftere
Wiederverkörperung streift. Da aber die Gleichzeitigkeit
eines transscen dentalen Subjekts mit der irdischen Person
Kant gesichert ist, so spekulirt er in den Vorl. 89 also
weiter: „Kein Geschöpf, welches vermittelst der zufälligen
EntSchliessung seiner Eltern durch die Geburt in die Welt
gesetzt ist, kann für einen höheren Zweck und ein künftiges
Leben bestimmt sein. Es ist zwar wahr, wenn die Menschen
sonst gar nicht würden zum Leben gekommen sein, ausser
durch den Zweck der thierischen Geburt, der sehr zufällig
ist, so wäre dieses hicht nur ein vollkommener Einwurf,
sondern sogar ein Beweis. Allein wir sehen auf der anderen
Seite, dass das Leben der Seele nicht auf der Zufälligkeit
der Zeugung des thierischen Lebens beruhe (weil pag. 64
alle Eigenschaften und Handlungen der Seele sich nicht aus
der Materialität erkennen lassen), sondern ,dass es schon
vor dem thierischen Leben gedauert habe, und also sein
Dasein von einer höheren Bestimmung abhänge. Das thierische
Leben ist folglich zufällig, aber nicht das geistige. Das
geistige Leben könnte doch fortdauern und ausgeübt werden,
wenn es auch gleich mit dem Körper zufällig vereinigt wäre." .
— Soweit ein kurzer Abriss der Hauptpunkte der Kant1 sehen
Psychologie. —
Ohne Zweifel sind, von den Träumen der Metaphysik
zu schweigen, die Vorlesungen in hohem Grade dogmatisch.
Wer aber nach dem oben citirten Goethe?sehen Worte bei
Kanfs selten genialer Begabung nicht einen ausnahmsweisen
vorzeitigen geistigen Verfall vorauszusetzen vermag, wer
demselben noch weniger logische Inconsequenz zutrauen mag,
die überdem im Hinblick auf die Position eines intelligiblen
Charakters und intelligibler Freiheit in der Kritik der reinen
Vernunft des sogenannten „echten" Kant hinfällig wird, der
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