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668 Psychische Studien. XXVIII. Jahrg. 11. Heft. (November 1901.)
Der philosophische Sinn davon ist, dass die Welt
eine absolute Einheit, eine unveränderliche,
konstante Grösse ist, welche an sich weder vermehrt
noch vermindert werden kann. Dieser Definition entspricht
aber allein ein geistiges Ding, eine räumliche oder
zeitliche Negativität, also nach den gewöhnlichen Begriffen
ein Nichts; denn nur das „Nichts6* ist Etwas, was weder
vermehrt noch vermindert werden kann. Folglich ist die
Welt an sich eine geistige Einheit (welche die Religionen
— diesen Sachverhalt ahnend — aüs „Gott" bezeichnen.
— Red).
Hier ist zu bemerken, dass die vollständige Umkehrung
einer Bewegungs- oder Wirkungsrichtung noch immer nicht
ein totaler Gegensatz ist; denn obgleich die Richtungen
total widersprechend sind, die Bewegung oder Wirkung an
sich bleibt dieselbe. Der totale Gegensatz von beiden zugleich
ist: gar keine Bewegung, gar keine Wirkung. Dies ist aber
die Existenz der Dinge als Ursachen, als Möglichkeit oder
Potentialität an einem Orte, in einem nicht ausgedehnten,
mathematischen Punkte, welcher aber mit dem Begriff der
Seele oder eines geistigen Dinges identisch ist. Somit ist
die Ursache nothwendig ein unräumliches, oder richtiger:
im Räume nicht vorstellbares Etwas.
Ist also z. B. eine Wirkungsgrösse, eine Positivität
durch die Zeit, durch die Dauer ausgedrückt, so muss dem
gegenüber eine gleichgrosse Negativität stehen. Hat etwas
eine Zeit lang gedauert, existirt, so muss es ebenso lange
als nicht dauernd, nicht existirend behauptet werden, aber
nur gerade so lang. Ist daher die Zeit der Nichtexistenz
(oder Wirksamkeit, Aktivität, Negation der ursächlichen
Existenz) abgelaufen, so muss die Existenzzeit ohne Aktivität
(Unwirklichkeit, Passivität oder besser Neutralität) wieder
nothwendig beginnen.
Daraus erhellt 1) dass Existenz und Wirkung gegenseitige
Negationen sind, 2) dass Existenz nichts ist, als eine
bestimmte Zeitgrösse, in welcher gar keine Veränderung,
gar keine Wirkung stattfindet, also die Wahrnehmung der
Zeit selbst, — oder eine bestimmte Wirkungsgrösse in einer
unwahrnehmbaren Zeit. Somit kann eine Wirkung nur
entstehen resp. wahrgenommen werden in einer nicht wahrnehmbaren
Zeit, wenn also die Zeitsuccession aufgehoben
wird, wenn die Zeitintensität auf Kosten der Zeitextensität
vermehrt wird, oder wenn aus Zeitextensität
Raumextensität wird. Also liegt in der Verminderung der
Zeitextension oder in der Vermehrung der Zeitintension die
Möglichkeit der Vermehrung der Raumextension oder einer
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