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708 Psychische Studien. XXVIII. Jahrg. 11. Heft. (November 190L)
Im obigen Fall ist der „objektive Thatbestand"
doch wohl der, dass nach der Beseitigung des Hindernisses
— eines auf die betreffende Stelle des verscharrten Fusses
drückenden Ziegelsteins — die Schmerzen thatsächlich
schwanden, was auch nach meiner persönlichen Meinung
subjektiv auf einen Denkfehler des Patienten, der nach
dem naiven Grundsatz: „post hoc, ergo propter hoc" einen
Kausalzusammenhang annahm, bezw. am ehesten auf Autosuggestion
zurückzuführen sein dürfte, der ich selbst ja, wie
jedem Leser der Psych. Studien bekannt sein wird, einen
weitgehenden Spielraum einräume.
Bekanntlich hat aber du Prel, was dem superklugen
Einsender unbekannt zu sein scheint, in seiner „monistischen
Seelenlehre" (Leipzig, 1888, bei Ernst Günther) diese
naheliegende Deutung bestritten, und zwar mit Gründen,
die ihm den Versuch nahelegten, diese so häufige Erscheinung
damit zu erklären, dass der zuweilen über den Körper
hinausragende „ Astralleib", dessen Existenz französische
Aerzte wie Dr. Encausse neuerdings sogar photographisch
nachgewiesen haben wollen, vom Messer des Chirurgen nicht
verletzt werden könne, so dass also das ,.astrale Schema"
des betreffenden Gliedes unverletzt und empfindungsfähig
bleibe. Dafür wird u. a. die Thatsache angeführt, dass
nicht nur Fieberkranke und Deliranten sich doppelt sehen und
fühlen und die Seherin von Prevorst bei Amputirten auch
die fehlenden Glieder sah, sondern dass auch Personen
mit angeborenen Verstümmelungen solche Integritätsgefühle
zeigen; denn da bei diesen ja die
Nervenendigungen nicht im verlorenen Gliede liegen, so
reichen hier in der That alle bisherigen Erklärungsmittel
nicht aus. Neuerdings ist diese für den Physiologen und
den Psychologen gleich wichtige Streitfrage von Edwin Basser-
Berlin in einem lesenswerthen Artikel der „Uebersinnlichen
Welt" (Oktober-Heft 1900 S. 570 ff.) eingehend behandelt
worden, der du Prel den u. E. nicht unbegründeten Vorwurf
macht, dass er die Thatsache der Erblichkeitvon
Gewohnheiten unterschätze, und auf andere bekannte
Gefühlstäuschungen (wie bei der mit übereinander gelegtem
Zeige- und Mittelfinger berührten, doppelt empfundenen
Erbse oder Nasenspitze) hinweist. Die (übrigens
nicht von uns herrührende) Frage am Schluss jener Einsendung
sollte also nur eine uns willkommene Anregung zu
weiterer Diskussion dieses jedenfalls noch nicht endgiltig
gelösten Problems geben. Dr. Fr. Maier.*)
*) Wegen Raummangels mussten alle übrigen Notizen für das
nächste fielt zurückgestellt werden. — &ed.||
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