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Maier: Ueber Spiritismus und Geistesstörung. 739
geführten statistischen Belege sehr verschieden ausfallen
müssen, je nachdem man nur solche Fälle berücksichtigt, in
welchen der sichere Nachweis für den ätiologischen
Zusammenhang einer späteren Geistesstörung mit früherer
spiritistischer Praxis oder Beeinflussung für geliefert erachten
will oder nicht. Jedenfalls darf aber der Spiritismus an
sich für den durch seinen Missbrauch angerichteten Schaden
ebensowenig verantwortlich gemacht werden, wie die Religion,
bezw. irgend eine Sekte oder Konfession, für die so häufigen
und oft zu den entsetzlichsten Greuelthaten führenden Fälle
von „religiösem Wahnsinn." Verf. giebt auch ausdrücklich
die Thatsache zu, dass „jederzeit sich in den Delirien
der Geisteskranken die gerade aktuellen Vorstellungen
, sowie die das allgemeine Interesse
in Anspruch nehmenden Ereignisse, insbesondere
auch Entdeckungen auf physikalischem Gebiete
wiederspiegeln. Die sich auf Elektrizität, Magnetismus,
Hypnotisraus, Suggestion und Röntgenstrahlen beziehenden
Er klär ungs wahn vor Stellungen der Halluzinanten
sind zur Zeit noch sehr häufig. Im Verlauf des letzten
Jahres wurden in der Charite mehrere Kranke beobachtet,
in deren Delirien die durch den Konitzer Mord neu belebte
Ritualmordvorstellung die wesentliche Rolle spielte."
So ist selbstverständlich auch eine auf Spiritismus und
Spiritisten sich beziehende Wahnbildung, wobei letztere häufig,
wie sonst namentlich die Freimaurer, die Geheimpolizisten
und die Zuhälter in der Phantasie der Kranken eine zu ganz
unbegründeten Verfolgungen neigende Gesellschaft darstellen,
leider keineswegs selten.*) Es handelt sich aber namentlich
um Individuen, die in Folge einer abnormen Konstitution
hin und wieder einmal flüchtigen Halluzinationen und
Illusionen .hinsichtlich des Gesichts-, Gehörs- und Geruchsinnes
unterworfen sind. Hypnagogiscbe Trugwahrnehmungen
, wie das Hören des eigenen Namens, das
Wahrnehmen von Klopfen und Poltern, von Auf- und
*) Ich selbst lernte vor Kurzem in Stuttgart eine in katholischen
Vorstellungen erzogene, seit einigen Jahren gut verheirathete frühere
Telephonistin keimen, die durch die von ihr in einer Leihbibliothek
gefundene und offenbar nicht verdaute Lektüre von J. Ämter9*
„Magikon" allmählich einem ihr Familienglück langsam zerstörenden
Irrsinn verfallen ist, indem sie sich einbildet, von ^Freimaurern*
und unerlösten Geistern verfolgt zu werden, die sie nächtlicher Weile
als „Inkubusse" plagen, dem ehelichen Verkehr entziehen und ihr
dafür „Vaginismusu bewirken, wobei speziell das dort berichtete
„Annestein" durch Geister bei ihr zur fixen Idee geworden ist, unter
deren Druck sie sogar wiederholt Tage lang jede Nahrungsaufnahme
verweigerte. — Ji.
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