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742 Psychische Studien. XXVIII. Jahrg. 12. Heft. (Dezember 1901.)
laufende Erkrankung an „Dementia paralytica" darstellende
Fall 8 zu sprechen scheint. Trotzdem geht Verf. erfreulicher
Weise nicht soweit, mit v. Bechterew („Suggestion und ihre
sociale Bedeutung", Leipzig 1889), der den Spiritismus den
psychopathischen Epidemien zurechnet, oder Max Nordau
(„Entartung", Berlin 1892), der den spiritistischen Geisterglauben
als „stigma degenerationis" hinstellt, die Frage, ob
schon der Glaube an das „spiritistische Dogma" an sich einen
Hinweis auf das Vorliegen eines psychisch abnormen Geisteszustandes
bilde, — eine Frage, die z. B. bei testamentarischen
Verfügungen von eminenter praktischer Bedeutung werden
kann, — schlechthin zu bejahen. Er findet derartige Auffassungen
im Allgemeinen schon deshalb nicht als zutreffend,
weil — auch ganz abgesehen von der als „wissenschaftlicher
Okkultismus" bezeichneten Richtung, als deren Organ und
Haupt Vertreter in Deutschland Verf. ausdrücklich die „Psych.
Stud." namhaft macht, — der Spiritismus sich im Laufe der
Zeit immer mehr in der Richtung einer neuen Religion
entwickelt habe, die mit ihren „Glaubenssätzen" von einem
persönlichen Fortleben nach dem irdischen Tod und von
der Möglichkeit eines Verkehrs mit den Verstorbenen „tiefwurzelnden
Bedürfnissen der menschlichen Natur" entgegen
komme, wobei zugegeben werden müsse, dass der Spiritismus,
wenn sich auch notorisch unter seinen Angehörigen zahlreiche,
psychisch minderwerthige Individuen finden, diesen doch zur
Gewissheit einer Fortdauer in einem Jenseits verhelfe und
diese Vorstellung für viele von der grössten moralischen
Bedeutung sei. Aber die Form, in der zur Zeit —
namentlich in Berlin — der dort „mit dem Kurpfusch erthum
aufs engste verknüpfte" Spiritismus, wenigstens vorwiegend,
in die Erscheinung trete, sei — und dies kann und soll
auch von uns keineswegs bestritten werden — in hohem
Masse geeignet, abergläubigen Vorstellungen vergangener
Zeiten wiederum Leben zu verleihen, womit sogar — wie die
von Zeitungen in letzter Zeit so häufig berichteten Fälle
krimineller Zauberei beweisen — auch dem Verbrecherthum
Mittel und Wege in die Hand gegeben werden, seine gemeinschädlichen
Zwecke unter einem neuen Deckmantel zu verfolgen
, in welcher Hinsicht das gegenwärtig oft gehörte:
„Videant consules!" der Vertreter des Strafrechts auch nach
unserem Empfinden nicht ganz unberechtigt erscheinen kann.
Nur beschränke man sich jedoch darauf, die Missbräuche
zu bekämpfen und hüte sich ja, die wissenschaftliche Erforschung
der okkulten Phänomene, die einzig und allein
Licht über dieses dunkle Gebiet mit all seinen scheinbaren
Gefahren und seiner für den Fortschritt der menschlichen
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