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Karze Notizen.
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Japan besteht auch eine solche Sekte unter dem Namen
„Remmon Kyotwai", der in der UeberSetzung durch den
wohlklingenden Namen „Sekte des Lilienthors* wiederzugeben
wäre. Sie wurde begründet von einem Manne Fanagito,
verdankt aber ihre Ausbreitung hauptsächlich einer Frau
Namens Mitsuka, die 1831 geboren wurde. Die Japanerin
Mitsuka blickt auf ein bewegtes Leben zurück. Als sie das
Alter von 14 Jahren erreicht hatte, mit dem in Japan ein
Mädchen als heirathsfähig gilt, ehelichte sie den Sohn eines
Fischers. Nach einigen Jahren aber wurde der Gatte von
seiner Familie zurückverlangt, damit er seinem Vater im
Geschäft folge. Die Frau wollte oder sollte diesen Wechsel
im Schicksal ihres Mannes nicht mitmachen und wurde von
diesem geschieden. Sie war damit durchaus zufrieden, weil
ihr Ehrgeiz sich von der Freiheit und von der grossen Welt
angezogen fühlte. Von Gegnern der Sekte wird behauptet,
dass Frau Mitsuka sich darauf für einige Zeit nach dem
bekannten Hafen Schimonoseki begeben und dort ein recht
unheiliges Leben geführt habe. Später wurde sie dann durch
Vermittelung einer Familie, die sie als Hausgenossin aufgenommen
hatte, mit einem Reishändler verheirathet. Im
Jahre 1852 wurde sie in Folge eines heftigen Rheumatismus
zu einem fast hilflosen Krüppel; aber gerade dieses Geschick
bot ihr endlich die Handhabe, ihren brennenden Ehrgeiz
zu befriedigen. Sie kam nämlich in die Hände von Fanagito,
der durch seine Gebete schon in der ersten „Sitzung" die
eingeschrumpften Sehnen am Halse und an den Beinen der
Kranken lockerte. Dieser augenscheinliche Beweis ihrer
Glaubenskraft liess Fanagito in der Frau eine würdige Ver-
künderin seiner Lehre vermuthen, und in der Tbat hat sie
mehr als der Begründer der Sekte zu ihrer Ausbreitung gethan."
h) Ein russisches „Wunder". Einen merkwürdigen
Fall von der Macht der Willensübertragung berichtet die
„Nowoje Wremja" von dem berühmten Pater Johann von
Kronstadt. ,,Am 13. September kam Pater Johann nach
Konschanskols und weihte die neue, aus Stein gebaute
Kirche in Anwesenheit von mindestens 10000 Personen ein.
Nach dem Gottesdienste wurde ein Frühstück gegeben, bei
dem viele Reden gehalten wurden. Während des Frühstücks
näherten sich zwei Männer und zwei alte Frauen dem Schulhause
, die den anscheinend leblosen Körper einer Frau
trugen. Seit sieben Jahren war diese Frau gelähmt, unfähig,
Arme oder Beine zu bewegen oder die Augen zu öffnen.
Als man sie brachte, stand Pater Johann auf, stellte sich
vor sie, fragte nach ihrem Namen und sah sie fest an. Dann
hiess er sie laut, die Augen öffnen. Nach mehreren Ver-
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