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4 Psychische Studien. XXIX. Jahrg. 1. Heft. (Januar 1902.)
die Zeit reif war für eine geistig höhere Entwickelungsstufe
der Menschheit. Hierdurch wird es uns dann klar, dass
auch seine Lehren so verstanden werden müssen, dass sie
ein Mittel waren, um die Menschen auf einen geistig und
seelisch höheren Standpunkt zu bringen. Seine Lehren waren
das Mittel, um die Menschheit glücklicher zu machen, sowohl
für das Leben in dieser, als in der Sphärenwelt, wo
es „viele Wohnungen" giebt.
Von der Kirche hingegen wurden Jesu Lehren und
Thaten so hingestellt, dass er als die verkörperte Gottheit
angesehen werden sollte und seine Aussprüche als Gesetze
betrachtet wurden, an denen kein Mensch das Recht habe,
rütteln zu dürfen. Wer das dennoch that, war ein Rebell
und selbst ein grösserer Sünder als Adam und Eva, welche
nach der kirchlichen Tradition die Erbsünde über Millionen
und Billionen von Menschen verhängt haben sollten.
Aber im Laufe der Zeiten hat sich die Intelligenz der
Menschen erweitert. Man ist nach und nach aus dem Halbschlaf
erwacht und wurde sich der Täuschung klar, in der
man 2000 Jahre lang erzogen wurde. Der jetzige Beginn
einer neuen Zeit hat den Denkenden die Augen geöffnet.
Es vibriren Gedanken wellen in der Luft, die da rufen: „Wo
sind deine gleichgesinnten Brüder?" Der Geist desselben
Christus, der vor 2000 Jahren erschienen war, hat das allzu
materiell gewordene Christenthum in ein mehr spirituelles
umgewandelt; wir stehen nunmehr am Beginne einer
neuen Aera, welche das Zeitalter des modernen
Spiritualismus genannt werden wird, und diese Philosophie
wird die Menschheit einen Schritt näher zum
seelischen Glücke bringen. Wodurch? Durch Erkennung
einer höheren Wahrheit, durch Befolgung dessen, was der
moderne Spiritualismus lehrt, und durch die Beweise, die
wir durch den entdeckten Verkehr mit der Geisterwelt
für die Unsterblichkeit des Geistes liefern können. —
Als Individuen sind wir nur ein Theil der ganzen
Menschheit; was wir aber als Individuum für das Individuum
thun, kommt der ganzen Menschheit zu Gute. Als individuelle
Seelen verschwinden wir aus dieser Welt; was wir aber als
Gesetz für das Wohl der Menschheit erreicht haben, bleibt
Gesetz, bis nach weiteren tausend oder zweitausend Jahren
eine noch höhere und weisere Philosophie kommen wird,
für deren Verständniss wir heute noch nicht reif genug sind.
Heute noch sehen wir schreiendes Uebel, offenbares
Unrecht, das an vielen Einzelnen spurlos vorüber geht, aber
vielen Anderen entsetzliches Wehe bringt. Die Einsichtsvolleren
sind empört darüber und fühlen es, dass Reformen
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