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6 Psychische Studien. XXIX. Jahrg. 1. Heft. (Januar 1902.)
Reise zurückgekehrt, meiner in liebenswürdigster Weise
annahm. Da aber Frau Rothe nicht in Berlin, ihr damaliger
Aufenthaltsort überhaupt unbekannt war, so konnte
ich Ihnen leider nicht von einem Erfolge berichten.
Nun erhielt ich Mitte Oktober durch Vermittelung einer
befreundeten Dame eine Einladung zu einer Rothe-Sitmng
auf 22. Oktober. Zugleich wurde mir mitgetheilt, dass,
wenn ich etwa auch an einer Materialisationssitzung — mit
einem andern Medium — theilzunehmen wünschte, sich dazu
am 19. Oktober ebenfalls Gelegenheit bieten würde. Natürlich
wollte ich! Von dieser Materialisationssitzung, die im
engsten Cirkei stattfand, berichte ich Ihnen nicht weiter.
Dieselbe war zwar recht ergiebig, für den Skeptiker vielleicht
zu ergiebig — fünf völlige Materialisationen menschlicher
Erscheinungen wurden erzielt—, indessen, wie schon
bemerkt, weil nicht von den nöthigen Cautelen umgeben,
nichts beweisend.
So ging ich wie gesagt mit getheilten Gefühlen zur Rothe-
Sitzung, wurde aber aufs Angenehmste überrascht. Wenn ich
Ihnen im Folgenden einen Bericht über diese hochinteressante
Sitzung für Ihre geschätzte Zeitschrift gebe, so thue ich
es um so Heber, als ich hoffe, einen nicht unwesentlichen
Beitrag zur Entscheidung der vielumstrittenen und verwickelten
Rothe-Frsige zu liefern — im Interesse der Wahrheit
und der Wissenschaft. Ich bemerke im Voraus, dass
ich den denkbar besten Platz am Sitzungstische hatte, dass
ich vorzügliche Augen habe und dass ich als Arzt scharf
zu beobachten gewohnt bin. Andererseits bin ich auch
mit Taschenspielerleistungen einigermaassen vertraut. Ich
war unter den Theilnehmern der einzige Akademiker. Mit
der Protokollführung hatte es seine eigene Bewandniss. Die
Ereignisse drängten sich zeitweise so, dass ich mich auf
Beobachtung beschränken musste, um sicher zu sein,
dass mir möglichst nichts von Wichtigkeit entging. Das
von dem Leiter der Sitzung, Herrn Städing, geführte Protokoll
hat wissenschaftlich wenig Werth. Ich habe deshalb
dem Ganzen die Form eines Briefes an Sie gegeben, weil
ich auf diese Weise meinen persönlich gemachten Beobachtungen
besser Ausdruck verleihen konnte. —
Sitzung vom 22. Oktober 1901 im Hause Berlin N., Liesen-
strasse 3, unter Leitung des Herrn Carl Stääing.
Die Sitzung war auf Abends 8 Uhr anberaumt. Als
ich 5 Minuten vor 8 Uhr erschien, fand ich bereits"*eine
Anzahl Damen und Herren vor. Das Medium war [noch
nicht anwesend. So hatte ich Müsse, das Sitzungszimmer
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