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42 Psychische Studien, XXIX. Jahrg. 1. Heft. (Januar 1902.)
sie unter den Faktoristen als ein verlorener Posten, ge-
wissermassen als ein Verbannungsort. Nur in zwei Faktoreien
hatten Europäer während der Leidenszeit ausgehalten. Sie
darbten wie die Eingeborenen, obschon das Gerücht umging,
im Inneren gäbe es noch etliche Hühner und sogar Ziegen.
Die Bevölkerung, auf der noch die Erinnerung an die
Leidenszeit lastete, kam nicht zur Ruhe, weil immer wieder
schlimme Vorgänge neuen Schrecken verbreiteten. Was
sich ereignete, Hess auf Wahnwitzige oder Geheimbündler
schliessen. Vielfach waren Weiber und Kinder spurlos verschwunden
, wahrscheinlich gewaltsam in ferne Gebiete verschleppt
worden; andere, wie auch Männer, wurden todt
und arg verstümmelt aufgefunden. Die Verstümmelungen
mochten von reissenden Thieren verursacht sein, aber manche
Angriffe gingen sicherlich von Menschen aus, denen mehrere
Eingeborene mit knapper Noth entrannen.
Ausserdem war um jene Zeit ein aussergewöhnlich
starker Leopard in der Gegend aufgetaucht, der alle Scheu
vor Menschen abgelegt zu haben schien. Einmal schritt er
bedächtig am hellen Tage über den Hof einer Faktorei, wo
gerade eine zahlreich besuchte Berathung stattfand. In rascher
Folge wurde er an entlegenen Orten gesehen. Wahrscheinlich
handelte es sich um mehrere Leoparden, die während der
Zeit des grossen Sterbens sich von Leichnamen genährt
and das Fürchten vor den Menschen verlernt hatten.
Nun Jbegab<tsich in feiner abgelegenen Faktorei, von der
noch mehr zu erzählen sein wird, Folgendes: Mit dem
Besitzer hauste daselbst ein Gehilfe, der die Eingeborenen
überaus hart behandelte und sich auch sonst Vielerlei gegen
sie zu Schulden kommen liess. Als dieser Gehilfe eines
Abends vor der Thür im Schaukelstuhl seine Pfeife rauchte,
wurde er meuchlings erschossen. Sein Diener, ein Knabe
aus einem benachbarten Dorfe, erkannte und verrieth den
Mörder. Unmittelbar nachdem der Uebelthäter auf Verlangen
der Europäer durch die eingeborenen Machthaber nach Urtheil
und Recht den Tod erlitten hatte, wurde in der Gegend
der erwähnte Leopard bemerkt. Der Zufall wollte es, dass
der gefleckte Räuber eines Tages um die Mittagszeit in das
Gehöft eindrang, wo der Mord geschehen war, sich auf
eben den vor der Hausthür Messer putzenden Knaben, der
den Mörder verrathen hatte, warf, ihn niederschlug und
fortschleppte. Ein Hund fiel den frechen Räuber an, wurde
aber von ihm gepackt und statt des Menschen davon geschleift
. Der Junge erlag den schweren Verletzungen. Seit
Menschengedenken war dies im Lande der zweite Fall, dass
ein Leopard ungereizt einen Menschen angegriffen hatte.
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