Institut für Grenzgebiete der Psychologie und Psychohygiene, Bibliothek, Frei122-Z5
Aksakov, Aleksandr N. [Begr.]
Psychische Studien: monatliche Zeitschrift vorzüglich der Untersuchung der wenig gekannten Phänomene des Seelenlebens
29. Jahrgang.1902
Seite: 69
(PDF, 221 MB)
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Janet: Eine Ekstatische.

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zeitliche ferne zu sehen, lässt sich aber nicht gern darüber
ausfragen; sie hat es lieber, wenn sie von den eintretenden
Ereignissen sagen kann, das habe sie vorausgesehen. Bei
gesteigerter Ekstase werden die Bilder unbestimmter, noch
immer von höchster Schönheit, aber in ihren einzelnen Zügen
nicht mehr festzuhalten. Von einer noch höheren Stufe
weiss sie nichts auszusagen, als dass sie voll Andacht und
Seligkeit gewesen ist; das Bewusstsein scheint sich, wie es
schon oft ausgesprochen ist, bei der völligen Einheitlichkeit
der Empfindung, dem Mangel aller Mannigfaltigkeit und
Veränderung zu verlieren. Jedoch ist dieser Charakter der
Einheitlichkeit, Bestimmtheit und Gewissheit keineswegs im
ganzen Leben der Ekstatischen anzutreffen. Als ich meine
Beobachtungen mit Madeleine begann, war ich über ihr
Verhalten manchmal erstaunt. Es kamen für sie, die sich
innerlich von Gott erleuchtet glaubte, merkwürdige Zeiten
peinlichen Schwankens. Voll Zweifei und Unruhe wird sie
von fixen Ideen heimgesucht; sie hält sich für beauftragt,
gewisse Dinge zu enthüllen, eine Keise nach Rom zu unternehmen
, oder sie glaubt sich geistig gestört u. s. w. Doch
hat sie solchen Antrieben nie Folge gegeben; sie kommt zu
keinem Entschlüsse, fühlt das Bedürfniss, von jemand geleitet
zu werden: an Stelle der Ekstase ist Psychasthenie getreten.
Die Ekstatischen pflegen dann von einer Zeit der Dürre
und Oede, der Gottverlassenheit zu reden. Dann ist, sagt
Madeleine, „mein Glaube so erschüttert, dass es sich nicht
sagen lässt; der böse Geist flösst mir allerhand Spitzfindigkeiten
ein; ich halte das, was ich früher gedacht, nicht
mehr für wahr; es wogt stürmisch in meinem Geiste, und
ich wäre glücklich, wenn ich wüsste, ich sei von Sinnen und
dies alles eine Krankheit." — Dieser qualvolle Zustand, in
den sie also von Zeit zu Zeit verfällt, entspringt aus
Störungen des Willens xmd der Aufmerksamkeit. Die Kranke
ist immer sehr erregbar und furchtsam gewesen, bange vor
der Welt, „wo ihre Zuneigung keine Erwiderung fände/1
gegen Eindrücke jeder Art höchst empfindlich, täglich im
Kampfe mit den Vorgängen des Lebens. Dasselbe Wesen,
das im Zustande inneren Friedens die Nächstenliebe in so
überschwänglicher Weise äussert, kann empfindlich werden
wie ein Kind, sich aufregen und leiden bei jeder Kleinigkeit.
Wie lassen sich nun zwei so verschiedene Zustände mit einander
vereinbaren?

Betrachtet man die Ekstatischen nur obenhin, auf Grund
der klassischen Schilderungen, so scheint die ärztliche
Diagnose keine Schwierigkeit zu bieten. Die Anfälle kata-
leptischer Unbeweglichkeit, das Absterben aller Sinne, die


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