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84 Psychische Studien. XXIX. Jahrg. 2. Heft. (Februar 1902.)
zehn Personen, Herren und Frauen jeden Alters und, wie
es schien, allen möglichen Gesellschaftsklassen angehörend.
Die Unterhaltung hatte alle denkbaren Gegenstände
berührt und richtete sich eben ausschliesslich auf spiritistische
Phänomene. Man wusste, dass Olcott, dessen schöner Kopf
nächst den grossen, absonderlichen Zügen der Blawatzky das
Ganze überragte und dem bunten Bilde einen absonderlichen
Charakter gab, sich jahrelang mit der wissenschaftlichen
und gewissenhaften Untersuchung aller in dieses Fach einschlagenden
Dinge befasst und, gleichwie die Blawatzky, sich
längere Zeit dem Spiritismus hingeneigt hatte. Aber man
wusste auch, dass Beide jetzt andere Theorien aufstellten,
als sie der Spiritismus bot, und dass H. P. B. behauptete,
Geisterphänomene ohne Hilfe von Geistern Verstorbener,
nur aus eigener Kraft und nach eigenem Willen, erzeugen
zu können.
Die erste Frage, die mein Mann an sie stellte, war:
„Glauben Sie an die Echtheit der spiritistischen Phänomene?"
Lachend erwiderte sie: „Glaube ich an meine eigene
Existenz? Glaube ich, dass wir hier beisammen sitzen und
uns sehen, hören, fühlen und berühren können? Ja, ich
glaube daran, und ebenso fest bin ich von den Phänomenen
überzeugt, — aber nicht im spiritistischen Sinne.*1
„Was heisst das?"
„Dass ich die Vorkommnisse bei spiritistischen Söancen,
seien es schriftliche Kundgebungen, Geisterbotschaften durch
Klopftöne, auch selbst Materialisationen als ebenso wahrhaft
bestehend und reell annehme, — betrügerische Manipulationen
unehrlicher Medien natürlich ausgenommen —, aber dennoch
behaupte, dass die Spiritisten alle Unrecht haben und Irr-
thümer verbreiten, für die sie einst schwer werden büssen
müssen.«
„Wie wollen Sie diese ganz entgegengesetzten Behauptungen
vereinen?" frug mein Gatte. „Um mich zu
verstehen, müssen Sie sich vor allen Dingen mit unserer
theosophischen Eintheilung des Menschen in sieben Grund-
theile bekannt machen, mit der Lehre von der Wiedergeburt,
und als Folge davon mit dem Gedanken vertraut werden,
was vom Menschen nach dem Tode überlebt und in jenen
Zustand übergeht, den wir „Kama Loka" oder die
Astralebene nennen. Nur von dort aus können sich
Verstorbene uns noch offenbaren. Sie sind aber dort nicht
„Geist" im theosophischen Sinne; denn, einmal in den von
uns „Buddhi" genannten „Geist-Zustand" eingetreten, können
und wollen sie sich unter gewöhnlichen Umständen gar nicht
mehr mit irdischen Dingen befassen, am wenigsten mit so
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