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122 Psychische Studien. XXIX. Jahrg. 2. Heft (Februar 1902.)
Menschenrasse angehörig, von Virchow dagegen als pathologische
Abnormität gedeutet wurde. Nach dem Berichte von
Prof. Klaatsch müsste aber nunmehr die letztere Deutung
aufgegeben werden; denn bei Agram sind die Schädelreste
von nicht weniger als acht menschlichen Individuen gefunden
worden, welche sämmtlich die Eigentümlichkeit des Neander-
thaler Schädels zeigen. Bei den Agramer Schädeln sind sogar
die gewaltigen Augenbrauenbogen, die den Schädel vom
Neanderthal charakterisiren, noch kräftiger entwickelt, so
dass man die kolossal entwickelte Stirnwuist wohl als eine
anthropoide Bildung bezeichnen könnte. Die grosse Zahl
der Schädel beweist, dass man es mit einer Rasseneigen-
thümlichkeit zu thun hat, die eine sehr erheblich niedrigere
Entwickelungsstufe des Menschen charakterisirt; und ferner
ergiebt sich daraus in Verbindung mit dem Neanderthaler
Funde, dass jene steinzeitlichen, dem Affentypus näher
stehenden Menschen über einen grossen Theii von Mitteleuropa
verbreitet waren. — So werthvoli dieser Fund für
die empirische Naturerforschung und speziell für die Anthropologie
erscheinen mag, liefert er doch andererseits einen
neuen Beweis für die Unsicherheit der auch von den
bewährtesten Autoritäten auf „exaktem" Gebiet aufgestellten
Theorien, bezw. aller auf blossen Hypothesen beruhenden
Deutungen.
e) Magnetische Menschen. Man hört wohl von
einzelnen Menschen erzählen, dass sie vor oder bei Gewittern
in besonders hervorragender Weise von der atmosphärischen
Elektrizität beeinflusst werden. Man könnte diese Leute
also in gewissem Sinne als elektrische Menschen bezeichnen;
aber dass es magnetische Menschen giebt, sollte man doch
kaum für möglich halten. Jedoch ein in diesen Fragen
sicherlich kompetenter Mann, der italienische Prof. Murani,
hat dies als sicher nachgewiesen. Er beobachtete, dass ein
in einem Elektrizitätswerk beschäftigter Ingenieur, wenn er
sich den Galvanometern näherte, die Magnetnadel dieser
Instrumente kräftig ablenkte. Natürlich glaubte man zuerst,
der Mann habe irgendwo in seiner Kleidung eiserne Gegenstände
, welche in bekannter Weise auf die Magnetnadel
einwirkten. Als man ihn aber vollständig entkleidet hatte,
blieb seine Wirkung auf den Magneten dieselbe; man musste
also schliessen, dass der Mensch selbst es ist, der diese
Wirkung ausübt. Sogar die Art dieser Einwirkung blieb
stets dieselbe, sie war nämlich immer so, wie wenn statt
des Ingenieurs ein grosser Magnet dem Galvanometermagneten
genähert wäre, der seinen Südpol auf der Seite
hat, die der Bückenseite des Ingenieurs entsprach, während
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