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150 Psychische Stadien. XXIX. Jahrg. 3. Heft. (MSrz 1902.)
hat sich unter dem Volke sogar offenkundig in täglicher
Ausübung erhalten, nämlich die sympathetischen Kuren, an
deren Realität kaum zu zweifeln ist. Um über alle geheime
Sympathie und magische Wirkung vorweg zu lächeln, muss
man die Welt gar sehr, ja ganz und gar begreiflich finden.
Das kann man aber nur. wenn man mit einem überaus
flachen Blick in sie hineinschaut, der keine Ahnung davon
zulässt, dass wir in ein Meer von RäthseLi und Unbegreif-
lichkeiten versenkt sind und unmittelbar weder die Dinge,
noch uns selbst von Grund aus kennen und verstehen."
Der berühmte Arzt Nussbaum in München hat bekanntlich
den Magnetismus als die Heilmethode der Zukunft
bezeichnet. Wenn diese Zeit kommt, wird man auch den
Schläfern und Somnambulen unserer Tage gerecht werden,
wie einst den unschuldig verbrannten Hexen. So wird mit
der Zeit wohl der Materialismus, der auf sozialem und
religiösem Gebiete so viel Unheil angerichtet hat, auch in
der Medizin zum Fall kommen, und die Welt wird Heil
suchen im Zeichen des Magnetismus und der Schläfer,. ,u
So weit Heinrich Hansjakob. Angesichts all des Gesagten
geziemt es sich also wohl, dass wir der Seherin von
Prevorst am Oentenarium des Tages ihrer Geburt ein Gedenkblatt
weihen, um so mehr, als ein solches so recht dazu
geeignet erscheint, uns das Wesen Justinus Kerner's von
einer seiner eigenartigsten Seiten zu zeigen und uns den tief
in seinem Innern liegenden Zug der Liebe zum leidenden
Nebenmenschen näher zu rücken. Wir schalten dabei den
Strom unserer persönlichen Ansicht über die Seherin sowohl
als auch über animalischen Magnetismus, Hellsehen
und dergleichen vollständig aus, fällen auch nirgends ein
eigenes Urteil, sondern lassen Justinus Ferner und andere
selber reden. Unsere Arbeit wird alsdann keine alte Streitfrage
neu aufwerfen, sondern nur das, was ehemals geschehen
, in neuer Anordnung an unserem Geiste vorüberziehen
lassen. Der Leser wird Gewinn davon haben, wenn
wir etwas weiter ausholen. —
Halten wir in erster Linie Umschau, ob sich in der
Familie Justinus Kernen9* schon früher einzelne Glieder
fanden, welche in ihrer Gemütsanlage Verwandtschaft mit
dem Dichter zeigten. Er erzählt hierüber im „Bilderbuch
aus meiner Knabenzeit":
„Die Wiege meiner Mutter war die schöne, vom Bande
des Neckars umflossene Felseninsel Laufen. Ihr Vater war
hier im Jahre 1751 Oberamtmann; er hiess Stockmayer
(geb. 1729) und verwaltete (nachdem er vorher noch Oberamtmann
in Besigheim und Stadtoberamtmann in Stuttgart
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