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160 Psychische Studien. XXIX. Jahrg. 3. Heft (März 1902.)
Gesetz der Entwickelung unterworfen, andererseits wieder
dazu bestimmt, durch Ausbildung mittelst des von ihr selbst
gestalteten Organismus an Vervollkommnung zuzunehmen
und an Erfüllung der sittlichen Weltordnung Theil zu nehmen.
Alle diese drei Stadien, deren letztes ewig dauert, zeigen
uns die Seele als Einheit, unspaltbar, unlösbar, nicht zu
verdoppeln, nicht zu vervielfältigen. Nur in der Zeugung
giebt die Seele eine magische Lamelle von ihrer Gesammtheit
ab behufs Hervorrufung des neuen Wesens; solche Abgabe
jedoch ist weder Spaltung noch Vervielfältigung: die Seele
verbleibt in ihrer Einheit. Jede Vervielfältigung ist scheinbar,
und was diesen Schein bewirkt bei Seelen im ersten Stadium
der Existenz ist die Thatsache, dass ein oder mehrere Wesen
aus dem zweiten oder dritten Stadium des Seins von bestimmten
Organen des stofflichen Organismus jener Seele
Besitz genommen. Auf diese Art allein, und nicht durch
animistische Hypothesen, können die Phänomene der Verdoppelung
u. 8. w. der Seele erklärt werden. Ueberdies
können vermeintliche Vervielfältigungen der Persönlichkeit
auch aus Veränderungen in der Organisation sich ergeben;
in diesem Falle jedoch bekunden die Erscheinungen den
Charakter von Krankheit oder Entartung. Verdoppelte u. s. w.
die Seele sich wirklich, so wäre das Leben des Individuums,
zu Ende; denn es wäre das organische Verhältniss von
Leib und Seele aufgehoben und das Wesen ein Monstrum.
Magische Erscheinungen.
§ 13. Es kann mit Gewissheit angenommen werden, dass
magische Erscheinungen geheimnissvoll nur für Wesen sind,
welche noch auf niederer Stufe der Erkenntniss sich befinden;
wer eine gewisse Höhe des Verständnisses erreicht, sieht in
jenen Erscheinungen durchaus nichts Mystisches, sondern
erfasst deren logische Nothwendigkeit und ihren Zusammenhang
mit den anderen Dingen. Manche Einzelwesen in
gegenwärtiger Zeit streben diesem Punkte der Entwickelung
zu; keines aber konnte bisher denselben erreichen. Auf
anderen Himmelskörpern dürfte es wohl Geschöpfe geben,
die, noch im stofflichen Leibe, jenen Punkt bereits überschritten
. Im zweiten Stadium der Existenz, also wenn die
Seele ätherischen Organismus bildet und mittelst dessen sich
vervollkommnet, dürfte auserlesenen Individuen ganz gewiss
Verständniss der sogenannten magischen Welt zu Theil
werden. Indessen, bei beharrlichem Forschen und vorurteilslosem
Philosophiren kann mancherlei nicht Unwesentliches
bereits noch innerhalb des stofflichen Seins auf diesem
Planeten ermittelt werden.
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