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166 Psychische Stadien. XXIX. Jahrg. 3. Heft. (.März 1902.)
(Subjekte) möglich; sie sind aber darin völlig gleich, dass
sie beide dasselbe Veränderungsvermögen besitzen.
Ein materieller Körper muss nothwendig als ein unendlich
schneller Wechsel einer anziehenden und einer ab-
stossenden Wirkung (Kontraktion und Extension) gedacht
werden. Die zwei verschiedenen Zustände sind zeitlich so
wenig getrennt, dass wir es als etwas Identisches, etwas
ohne Veränderung, eine Dauer der Ruhe uns vorstellen.
Nun ist es offenbar möglich, den einen oder den anderen
Zustand als länger dauernd, d. h. anstatt Ruhe eine einseitige
(an Richtung konstante) Bewegung vorzustellen, oder vielmehr
das Aufeinanderfolgen der zwei Zustände mehr in der Zeit
ausgedehnt wahrzunehmen. Dabei müssten wir von einem
Körper eine ganz andere Vorstellung haben; wir würden
einen Körper etwa als einen rascher oder langsamer wachsenden
und abnehmenden Druck oder als eine Anstrengung,
eine steigende und sinkende Lust- oder ünlustempfindung
wahrnehmen.
Indem nun ein so vorstellendes Subjekt dieselbe Anstrengung
oder Kraft entwickelt, mit welcher wir z. B. einen
schweren Körper aufheben, kann es sich dadurch den Körper
in der extensiven (oder abstossenden) Bewegung eine längere
Zeit vorstellen, was für uns die Vorstellung eines Sicherhebens
, resp. einer Selbstbewegung geben würde.
Dies ist an sich betrachtet, nichts weiter, als dass eine
undulirende, in sich zurückkehrende Bewegung auf eine
Zeit lang in eine an Richtung konstante Bewegung, resp.
ein Theil der Anziehungskraft (oder die ganze) auf eine
Theilzeit in abstossende Kraft verwandelt wird.
* *
In der sinnlichen Vorstellung kann unsere normale
Subjektivität eine grössere (im Gesichte eine sehr grosse)
Summe von räumlich getrennten Punkten „zugleich"
empfinden. In unserer Gedanken vor Stellung (innere Sinnlichkeit
) kann das Subjekt zeitlich getrennte Zustände nur
mit sehr geringer Intensität empfinden, sich vorstellen, d. h.
die Beweglichkeit in der Zeit ist ebenso beschränkt wie
die Beweglichkeit im Räume, weshalb das Vermögen, eine
Vergangenheit sich vorstellen zu können, sehr schwach und
klein und nur als Erinnerung vorhanden (keine sinnliche
Anschauung) ist; und in seltenen Fällen erreicht es die
Stärke einer minimal-sinnlichen Vorstellung, einer Vision
oder Hailucination. Ebenso schwach und selten ist das
Vermögen, etwas Zukünftiges sich vorzustellen; es existirt
als Phantasie, als logische Einsicht oder instinktive Vorsicht,
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