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174 Psychische Studien. XXIX. Jahrg. 8. Heft. (März 1902.)
und bigott ihre Anhänger meistens auch sind, lehrt ganz
deutlich, dass es ein zukünftiges Leben giebt und dass
dieses davon abhängt, wie der Mensch sein Leben hier auf
der Erde geführt hat. —
Es spricht nun jedenfalls von vornherein stark für diese
Lehre, dass alle diese grossen Religionen, die in so manchen
Punkten von einander abweichen, in diesem übereinstimmen.
Alle diese grossen Religionen wurden von Männern gegründet,
welche die übrigen Menschen um mehrere Kopflängen überragten
. Wenn wir einen Augenblick die Frage im Betreff der
Göttlichkeit Christi bei Seite lassen, denken Sie an die anderen
grossen Religionen und Sie werden jedenfalls anerkennen
müssen, dass Sie dort ehrwürdige spirituelle Lehrer vor sich
haben, Männer, die weit mehr wussten, als wir, und die
weit höher standen, als die ganze übrige Welt. Alle diese
Männer stimmen in dieser grossen Kardinallehre überein;
deshalb muss das, worin die Mittheilungen dieser weisen und
hohen Geister vollständig übereinstimmen, schon von vornherein
eine grosse Wahrscheinlichkeit für sich beanspruchen.
Es ist dies, wie gesagt, kein Beweis, aber immerhin ist es
eine Thatsache, die sehr ins Gewicht fallen sollte. —
Nun komme ich zu dem, was als direkter Beweis angesehen
werden kann: dass stets Menschen aus dem Reich
des Todes zurückgekehrt sind.
In zweierlei Sinn ist dies der Fall. Wir haben in
unserer Theosophie eine Lehre, die manchem neu und
auffallend und vielleicht sogar abstossend sein mag, — die
Lehre der Wiederverkörperung oder Reinkarnation, die
besagt, dass alle Menschen in dieser Welt schon vor der
diesmaligen Geburt gelebt haben und dass sie noch viele
Male in Zukunft leben werden. Ich halte Ihnen heute keine
Vorlesung über Wiederverkörperung; das ist ein wichtiges
Thema für sich, dem wir mit Nutzen mehrere Abende
widmen könnten. Aber die allgemeine Idee ist die, dass der
Mensch auf unserer Erde geboren wird, zu dem Zweck um
zu lernen; dass ein Leben nicht hinreicht, um all das in
sich zu verarbeiten, was diese wunderbare und schöne Welt
ihm zu lehren hat; und da es nun der göttliche Wille ist,
dass er dies alles lernt, so muss er immer und immer wieder
zurückkehren, bis er alles in sich aufgenommen hat. Erst
wenn tv alles erworben, was er auf dieser Welt erwerben
kann, ist es ihm gestattet, sich ganz von ihr zu trennen
und er ist frei von einer nochmaligen Geburt, frei von der
Wiederverkörperung. Natürlich, wenn wir diese Lehre uns
zu eigen machen können, dann sehen wir ein, dass wir alle
schon viele Male geboren worden und gestorben sind, und
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