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Litteraturbericht.
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Iiitterattirbericlit.
A. Bücherbesprechnngen.
Die Mystik im Aufgange des neuzeitlichen Geisteslebens
und ihr Verhältnis® zu modernen Weltanschauungen. Von
Dr. Rudolf Steiner. Berlin, C. A. Schmetschke Sohn (118 Seiten).
Der durch mehrere philosophische Schriften, am meisten aber
wohl durch seine Einleitungen zu Goethe^ naturwissenschaftlichen
Schriften bekannte Verf. hielt vorigen Winter eine Anzahl Vorträge
in der Theosophischen Bibliothek zu Berlin, und diese sind in dem
vorliegenden, im ganzen recht ansprechenden Büchlein an die
Oeffentlichkeit gegeben. In der Einführung wird die unvergängliche
Bedeutung der alten Weisheitslehre: „Erkenne dich selbst* dargelegt
und gezeigt, in welchem Sinne Selbsterkenntniss und Welterkenntniss
als zusammenfallend anzusehen sind, wie wir in unserer Erkenntniss
das Wesen der Diuge mit unserem eigenen Wesen verbinden, wie
mit der Erkenntniss des Selbst sich in uns eine geistige Wiedergeburt
der Dinge der Welt vollzieht. Dies ist der Grundgedanke der Mystik,
dem nun nachgegangen wird in den Schriften von Meister Eckhart,
Johannes Tauler, Heinrich Suso, Johannes Ruysbrock, Nikolaus v. Kues,
Jtjrippa von Nettesheim, Paracelsus, Valentin Weigel, Jakob Böhme,
Giordano Bnmo und Angelus Silesius. Diese Denker werden nach ihren
Hauptlehren und ihren Beziehungen zu Mit- und Nachlebenden klar
und — soweit der Berichterstatter nachkommen kann — richtig gekennzeichnet
. Wenig befriedigend erscheint die kurze Abfertigung
des Giordano Bruno, dessen begeisterte Betrachtung des Universums
als Natura naturans und Natura naturata durch das Urtheil,
dass sie nicht viel höher stehe als die landläufige Vorstellung Gottes
als „eines gasförmigen Wirbelthieres" — nach der abgeschmackten
Häckel'schen Phrase — unverdient herabgesetzt wird. — Dem
Okkultismus, den man doch so zu sagen als praktische Mystik ansprechen
dürfte, ist der Verfasser nicht freundlich gesinnt. Was z. B.
Trithemius, der Lehrer des Aguppa, in seiner „Steganographia" darüber
lehrt, soll als versteckte Ironie aufzufassen sein; es handle sich bei
diesen Beschreibungen von Geisterbeschwörungen und dergl. um rein
natürliche Vorgänge, die man nur nach W. lt. Heidel's Anleitung so
geschickt müsse herauszulesen wissen, wie etwa die modernen
Baconianer ihre Lehre von dem wahren Urheber der bhakespeare'schen
Dramen aus deren Versen nach kunstvollen Eecepten herauslesen. Vom
Spiritismus wird gelegentlich gesagt, dass „er bis zur wahrhaften
Vorstellung des Geistes nicht vorgedrungen ist, sondern in einem
Grobsinnlichen unmittelbar den Geist anschauen will", — und es liege
„einer solchen Vorstellungsart ein Mangel an geistigem Auffassungsvermögen
zu Grunde": eine scharfe Verurtheilung, die sich nicht
leichc wird rechtfertigen lassen. Auch ohne Spiritist zu sein, sollte
man sich den wissenschaftlichen Bestrebungen auf diesem Gebiete
(mögen auch deren Vertreter den unwissenschaftlichen gegenüber
noch stark in der Minderzahl sein) wohl etwas unbefangener zeigen
und jedenfalls zurückhaltender aussprechen. W.
B. Zeitschriften-Uebersicht.
Spiritistische Rundschau**) Berlin. 9. Jahrg. Nr. 4, 5. Neujahrsgruss.
— Ueber Frau A. Rothe (5 Aufsätze). — Der Stoff ist keine Materie. —
Die sogenannten Gedankeubilder. — Carrie Miller, dasNew-Yorker Medium.
— Der Traum des Farmers. — Nachgeprüfte Phänomene.
*) Redakteur ist Herr W. Kuhaupt (nicht Prof. Obertimpfler, wie
im Januar-Heft irrthümlieh stand). — Eed.
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