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Dankmar: Geistige and soziale Strömungen etc. 197
gedichtet und komponirt wurde und die als „Chant de guerre
aux armees des frontidres" auf die Truppen und auf die
ganze Nation die Wirkung einer Massensuggestion hatte.
Unter ihren Klängen wurden die kriegsgeübten Heere der
Alliirten verjagt und es herrschte eine edle Begeisterung
sonder gleichen, die selbst einem Klopstock und einem Hegel
Worte tiefster Bewunderung erpresste.*)
Freilich, so hoffuungsfreudig sich im Beginne Alles entwickelte
, so sehr entfachten bald Parteienhass, Fanatismus,
die Umtriebe der Emigranten, das Nahen fremder Söldlinge
dämonische Leidenschaft, Blutgier und bestialische Wuth
und es tritt Gesetzlosigkeit an Stelle der Freiheit; Wunder
des Heroismus und der Barbarei, der reinsten Humanität
und der krassesten Entmenschtheit vollbringt der Nationalkonvent
in seiner ersten Periode bis zum 5. Brumaire des
Jahres IV f« 26. Oktober 1795). Grossthaten des Geistes
wechselten mit Graueln des Molochismus ab und schliesslich
ging das Bürgerthum gestärkt aus dieser Epoche hervor,
während das eigentliche Volk, dem man abgeschlagene
Köpfe und werthlose Assignaten statt Brod gegeben hatte,
verarmt und enttäuscht dastand. — Aber doch hatte auch
der vierte Stand angefangen sich zu fühlen, wie der Aufstand
vom 20. Mai 1795 und die glorreiche Episode des
ßabouvismus (1796) beweist, in welcher Francois Noel Babeuf
(oder Gracchus Babeuf, wie er sich bedeutsam nannte) nach
dem Sturze Robespierreh noch einmal alle Elemente der
Demokratie um sich sammeln und die Revolution aus einer
blos politischen in eine soziale umwandeln wollte. Während
Adel, Geistlichkeit und Bürgerthum sich die Hand zum
*) Der sechsundsechzigjährige Klopstock klagte (um 1790) darüber,
dass nicht Deutschland diesen Schritt zur Befreiung gethan: „Ach,
du warst es nicht mein Vaterland, das der Freiheit Gipfel erstieg,
Beispiel strahlte den Völkern umher: Frankreich wars! Du labtest
dich nicht an den frohsten der Ehren, brächest den heiligen Zweig
dieser Unsterblichkeit nicht." Hegel schreibt in seiner „Philosophie
der Geschichte* (1840) p. 535: „Der Gedanke, der Begriff des Rechts,
machte sich mit einem Male geltend, und dagegen konnte das alte
Gerüste des Unrechts keinen Widerstand leisten. . . Es war dieses
somit ein herrlicher Sonnenaufgang. Alle denkenden Wesen haben
diese Epoche mitgefeiert. Eine erhabene Rührung hat in jener Zeit
geherrscht, ein Enthusiasmus des Geistes hat die Welt durchschauert,
als sei es zur Versöhnung des Göttlichen mit der Welt nun erst
gekommen/ —- Bezüglich der so bedauernswerthen Grausamkeiten,
mit denen sich diese erhabene Bewegung leider befleckte, urtheilt
A. L. v. Schlozer, der Herausgeber der seiner Zeit viel gefürchteten
..Staatsanzeigen44 (1782—1793) in richtiger Weise: „Wo lässt sich eine
Revolution ohne Exzcss denken? Krebsschäden heilt man nicht mit
Rosenwasser.tf — Ueber das Verhalten Goethes zur französischen
Revolution werden wir in Theil E ein Wort sagen.
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