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Dankmar: Geistige und soziale Strömungen ete. 199
Schon vor der französischen Kevolution hatte der Marquis
L. C. de Saint Martin, der Begründer des heute noch existiren-
den Ordens der Martinisten, in seiner an Jacob Böhme
erinnernden Art in seinem „Ternaire", aus dem er Alles:
das Dreifeldersystem, sowie die Dreieinigkeit erklären wollte,
auch das Prinzip der Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit
entwickelt. Die Freiheit fand in Voltaire und Montesquieu, von
denen der heutige Liberalismus abstammt, ihre Hauptvertreter
, die Gleichheit und Brüderlichkeit in Rousseau, dessen
Prinzipien sich dann im modernen Sozialismus weiter gebildet
haben. Die französische Revolution war hauptsächlich
eine Revolution der besitzenden Klassen, welche das Kapital
von ungerechten Lasten befreite und die kapitalistische
Bourgeoisie so erst recht zur Blüthe brachte; aber es weht
ein grossartiger Geist des reinsten Humanismus in jener
Erklärung der Girondisten, die besagt: „Franzose ist jeder
Fremde, mag er auch nur ein Jahr lang in Frankreich
gewohnt haben, falls er ein Kind adoptirt oder die Sorge
für einen Greis übernimmt." Zu denselben Girondisten, der
gemässigten Partei des Nationalkonvents, gehörte auch Jean
Louis Carra, Kustos der Nationalbibliothek, der fest an die
Lehre der ewigen Wiedererzeugung der Wesen und an eine
Art physischer Seelenwanderung glaubte, da bei den unaufhörlich
neuen Kombinationen der Materie, laut dem Gesetze
des Zufalls, dieselben Arten und Formen des Daseins sich
nothwendig irgend einmal im Laufe der Zeiten wiederholen
müssten. Er hatte seinen Freunden ein Buch angekündigt,
worin er auf diese Art die Unsterblichkeit physiologisch
beweisen wollte. Sein Tod (er wurde mit zwanzig Gesinnungsgenossen
am 9. Brumaire d. J. II = 31. Oktober 1793
hingerichtet) vereitelte dieses Vorhaben.*)
*) Siehe dazu Charles Nodier: rLe dernier banquet des Girondins.*
Norfier erwähnt auch darin der bekannten Weissagung Jacques Cazotte7*,
welche Dr. Bormann in dieser Zeitschrift so lichtvoll behandelt hat.
kodier sagt: „Authentisch würde sie (die Weissagung) etwas ganz
Ausserordentliches sein... Von Cazotte's sogenannten Visionen weiss
ich nichts, weil ich sie wahrscheinlich mit seinen Geschichten vermengte
; allein ich habe oft bei meinem Vater davon reden hören.tf
Nodier, der übrigens sehr zur Mystik neigte, kannte als neunjähriger
Knabe Cazotte persönlich, da dieser ein Freund seines Vaters war.
— Jacques Cazotte selbst, der dem Orden der Martinisten angehörte
und genau die Dämonologie ßodin's kannte, wie sein „Le diable
amoureux* beweist, war sehr in seinen mystischen Studien durch die
Geisterbeschwörerin und Teuf elsbannerin Marquise de la Croix, Tochter
des Marquis von Senes bestärkt worden. Diese schöne Dame erregte
kurz vor der Revolution durch ihre Gebetsheilungen, Teufel saus-
treibungen u. s. f. grosses Aufsehen in Lyon und Paris und es war
ihr (und Cazotte) unzweifelhaft bitterer Ernst mit ihrem Thun.
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