http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1902/0220
210 Psychische Studien. XXIX. Jahrg. 4. Heft (April 1902.)
ihre Pinger verpflanzte, berief mein Vater befreundete
Äerzte der Umgegend; um alles ernstlieh zu prüfen und
ihre Erfahrungen zu konstatiren. Dies waren Dr. Uhland
von Ludwigsburg, Dr. Höring von Schwaigern, Dr. Off von
Löwenstein, Dr. Seyffer von Heilbronn u. a.; auch Lehrer
und Beamte, welche Zutritt hatten, überzeugten sich, wie
die vorgenannten Äerzte, von der Richtigkeit und Wahrheit
dieses magnetischen Schauens.
Allmählich minderten sich alle krankhaften Erscheinungen,
und sie kehrte wieder zu ihrem Vater nach Stuttgart zurück.
Dort verblieb sie mehrere Monate; ihr Somnambulismus hatte
sich anscheinend gehoben, und sie trat wieder bei dem
Stadtpfarrer, welcher unterdessen als Pfarrer nach Murrhardt
gekommen war, in Dienst. Nach einigen Wochen wurde sie
ohne einen Grund angeben zu können, traurig, übellaunig,
verfiel in Katalepsie und erwachte aus derselben mit voll-
kommen klarem ßewusstsein; es war der 4. Juli 1823, sie
glaubte aber fest, es sei der 4. September 1822, der Tag,
an dem ihr somnambuler Zustand angefangen hatte, und
sie sei in Weinsberg. Alles, was seit dem 4. September 1822
mit ihr vorgegangen war, war völlig aus ihrem Gedächtniss
verwischt.
Die Christiane Käppiinger magnetisirte mein Vater jeden
Tag und führte ein regelmässiges Tagebuch über sie. Ausser
den Visionen, welche sie in schlaf wachem Zustande hatte
und die sich hauptsächlich auf ihren verstorbenen Bruder
bezogen, waren ihr Empfinden und ihre Erörterungen über
das Wesen und die Wirkung der Pflanzen merkwürdig; sie
verordnete auch den Kranken, in deren Leiden sie einzugehen
vermochte, mit Glück die der Natur der Krankheit
entsprechenden Heilmittel; meist waren es Kräuter, welche,
frisch dem Walde entnommen, als Thee getrunken werden
mussten. Am 8. Februar 1823 war, wie sie Monate vorher
vorausgesagt, ihr letzter magnetischer Schlaf, und sie blieb
von da an gesund und war in der Haushaltung thätig. Für
meinen Vater fühlte sie immer grosse Dankbarkeit und kam
öfters in unser Haus. Im Jahre 1872, zehn Jahre nach
dem Tode meines Vaters, schenkte ein Herr aus Siebenbürgen
, den ich längere Zeit magnetisch behandelte, der
Käppiinger, welche er bei mir kennen lernte, eine grosse
Prachtbibel mit Illustrationen: sie hatte eine innige Freude
an ihr, legte sie immer neben sich auf das Kopfkissen und,
das Haupt auf ihr, starb sie im Juni 1873, siebzig Jahre
alt" — So Dr. Theobald Kerner als noch lebender Zeuge
über die ersten Studien seines Vaters an Somnambulen.
Dazu gehört auch, was er im gleichen Buche „Das Kerner-
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1902/0220