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212 Psychische Studien. XXIX. Jahrg. 4. Heft. (April 1902.)
sehen. Die Gräfin aber erinnerte sieh bei dem „grossen,
grossen Wasser" an den Bodensee und ihr Sehloss Gottlieben
und das8 sie, als sie nach Stuttgart zog, den Schmuck dort
könnte zurückgelassen haben. Sie Hess nachsuchen, und am
4. Dezember 1849 schrieb sie an meinen Vater: „Welch eine
interessante Mittheilung, werther Herr Doktor, haben Sie
uns gemacht, und welchen aufrichtigen Dank bin ich Ihnen
schuldig für die freundliche, thätige Theilnahme, die Sie
die Güte hatten, für mich an den Tag zu legen! Sehr
merkwürdig ist und bleibt es, dass Ihre Somnambule so
ganz die Wahrheit getroffen hat, denn der Schmuck war
wirklich in Gottlieben in einem wohlverwahrten Schrank
zurückgeblieben. Die Schuld dieses widerwärtigen Missverständnisses
fällt lediglich auf mich selbst, ich bekenne
es offen; zu meiner theilweisen Entschuldigung möge angeführt
werden, dass ich bei der Abreise von Gottlieben an den
Augen litt, und dass der Amtmann, welchen mein Mann
zur Oeffnung des Kastens nach dem Landschloss sandte,
bereits wieder die Thüre des Kastens zuschlagen wollte, als
ihm einfiel, auch mit den Händen herumzugreifen, wobei
er den erwünschten Fund machte."--
Am 25. November 1826 war dann endlich der bedeutungsvolle
Tag, wo Frau Friederike Hauffe, die Seherin von
Prevorst, im J&raer-Hause zu Weinsberg erschien, um
sich Justinus Kerner's ärztlicher Behandlung anzuvertrauen.
Dr. Theobald Kerner erzählt: „Am 25. November 1826 kam
eine schwerkranke Frau, Friederike Hauffe, unter Begleitung
des Dr. Off von Löwenstein und einer Verwandten in
Weinsberg an, um sich meinem Vater in Behandlung zu
geben. Sie fand im Farterrezimmer eines kleinen Hauses,
nicht weit von dem meiner Eltern, Unterkunft.u
Wendet man auf der Ruine Weibertreu oder auf der
Zinne des Geisterthurmes im Garten des Äm^r-Hauses den
Blick nach Südosten, so sieht man die Höhenzüge der
Löwensteinerberge, wie sie das Thal rechts mit ihren bewaldeten
Abhängen sanft gegen den Horizont abgrenzen.
Wenn Sonnenschein über den Länden liegt, sind von gleicher
Stelle aus auch die weissen Häuser der Ortschaft deutlich
erkennbar. Seitwärts davon, aber noch höher, liegt in
romantischer Abgeschiedenheit das kleine Dorf Prevorst.
Justinus Kerner sagt darüber: „Der grösste Theil der Einwohner
nährt sich mit Holzmachen, Einsammeln von Waidsamen
und Kohlenbrennen. Wie Bewohner von Gebirgen
es überhaupt sind, ist auch hier der Volksstamm kräftig,
und die meisten erreichen, ohne je an einer Krankheit
gelitten zu haben, ein hohes Alter. Krankheiten der Thal-
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