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232 Psychische Studien. XXIX, Jahrg. 4. Heft. (April 1902.)
Religionen die Aufgabe hätten, diese Wahrheit darzustellen,
dass sie sich aber verschieden gestaltet hätten, je nach dem
Geist des Lehrers, der sie darlegte, je nach den Zuständen
der Welt, unter denen sie gelehrt wurden, je nach dem
Volk, dem sie gebracht, und je nach dem Geist der Zeit,
zu welcher sie geoffenbart wurden; aber sie betonten, dass
alle von ihrem besonderen Gesichtspunkte aus dieselbe grosse
Wahrheit darstellten. Sie gaben uns einen allgemeinen
Umriss ihrer Lehre. Sie werden diesen, gerade wie er
uns gebracht wurde, in Herrn Sinnetfs Buch: „Esoteric
Buddhism"*) finden, noch immer ein ausserordentlich
interessantes Buch, obgleich in gewissen Richtungen etwas
veraltet, da wir jetzt so viel mehr wissen, als damals; aber
es giebt uns doch vom wissenschaftlichen Standpunkt aus
eine so gute Uebersicht über die theosophischen Lehren,
wie wir es nur wünschen können.
Besonders möchte ich hervorheben, dass diese Lehrer
uns sagten: „Glaubt nicht das, was wir Euch sagen, einfach
deshalb, weil wir es Euch mittheilen; nehmt es gerade so
auf wie eine wissenschaftliche Hypothese und seht zu, ob
es nicht die befriedigendste Erklärung ist, die Ihr finden
könnt, voi der Welt und allem, was in ihr ist. Wenn Ihr
mehr darüber wissen wollt, so macht Euch an die Arbeit,
wie wir es gethan haben und entwickelt in Eurem Inneren
die Sinne, die Euch in den Stand setzen, diese Dinge selbst
zu erschauen." Sie theilten uns aber gleichzeitig mit, dass
dies keine leichte Sache sei, aber immerhin wirklich erreichbar
, Sie erklärten uns, dass jeder Mensch noch andere
und höhere Vehikel oder Körper besässe, ausser diesem
sichtbaren; dass die Fähigkeiten, die diesen höheren Körpern
eigen sind, im Menschen schlummern und entwickelt werden
können. Sie lehrten: „Wollt Ihr in bestimmter Richtung
fortschreiten, dann gewinnt die Herrschaft über Euer Denken,
erlernt die Konzentration der Gedanken, die Macht über
alle Theile des inneren Lebens; wenn Ihr Euch in dieser
Weise schult, dann werdet Ihr das nöthige Schauen erwerben
und dann im Stande sein, selbst die Dinge zu sehen, die
wir sehen und daher wissen, dass sie wahr sind." Viele der
Onsrigen beschlossen, diesem Wink zu folgen und wir machten
uns ans Werk. Die Arbeit war hart und schwierig, sie
verlangte unendlich viel Selbstbeherrschung und Schulung
und Selbstzucht nach allen Richtungen. Es war nicht zu
*) Deutsch „Die esoterische Lehre* oder „Geheimbuddhismus14
von A. P. SinnelL Leipzig, Tli. Grieben's Verlag (L. Femau) 1899.
2. Aufl. 4 M. geb. 5 M.
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