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Das „Blumenmedrom" A. Rothe verhaftet. 243
gestern Abend dem „Lok-Anz.a zufolge in der Wohnung
des Privatlehrers Jentsch durch die Kriminalkommissare
von Kracht und Leonhard in dem Augenblicke verhaftet,
als es die „Apporte11, (in dem uns vorliegenden Original
heisst es: Rapporte! — Red.) bestehend in Blumen und
Früchten, an das Licht brachte. Die Entlarvung geschah
inmitten eines geladenen Cirkels von Herren und Damen,
in denen auch die Kommissare Eingang gefunden hatten.
Frau Rothe bestritt anfanglich jeden Betrug; Kommissar
v. Kracht forderte sie vergebens zum Geständniss auf, bis
er sich gezwungen sah, sie durch eine der anwesenden Damen
gewaltsam untersuchen zu lassen. Eine Unmenge frischer
Blumen, drei Apfelsinen, drei Citronen wurden
unter den Kleidern der Rothe gefunden, welcherlei
Gegenstände sie durch einen geschickten, den Kommissaren
bekannten Trick mit taschenspielerischer Gewandtheit im
richtigen Moment zum Vorschein brachte. Die Rothe wurde
trotz heftigen Sträubens in polizeilichen Gewahrsam geführt,
ebenso ihr Protektor Jentsch und ihr Gatte." —
Wir haben diesem Thatsachenbestand, wie er jetzt
öffentlich vorliegt, unsererseits nur wenige Worte hinzuzufügen
. Jeder aufmerksame Leser der „Psych. Stud." wird
sicherlich den Eindruck gewonnen haben, dass wir der uns
obliegenden Pflicht strengster Unparteilichkeit in einem so
schwierigen Fall, wo uns aus eigener Erfahrung gewonnene
Anhaltspunkte leider nicht zu Gebot standen, stets aufs
gewissenhafteste und nach besten Kräften nachzukommen
versuchten. Obschon Unterzeichnetem seit der ersten Streitschrift
unseres früheren Mitarbeiters Dr. E. Bahn, dessen
späterer Rücktritt uns persönlich die schmerzlichste Folge
des „Skandals Rothe-Sellin" war, die von diesem eruirten
Verdachtsmomente gegen das Paar Rothe-Jentsch sehr schwerwiegend
erschienen, um so mehr, als die vom letztgenannten
Herrn uns wiederholt gemachten Zusagen und Angaben
sich als keineswegs stichhaltig erwiesen, musste uns doch
der eifrige Wunsch des Herrn Verlegers, auch die Verteidigung
ungeschmälert zum Wort kommen zu lassen, nach
dem allgemein anerkannten Grundsatz: „Audiatur et altera
pars" gerade deshalb, weil Unterzeichneter das angegriffene
Medium selbst nicht kannte, als ein unumgängliches, wenn
auch vielfach äusserst peinliches Erforderniss der Gerechtigkeit
erscheinen, vollends nachdem Männer von so
unzweifelhafter Ehrenhaftigkeit und Unbefangenheit wie z. B.
Herr Dr. med. Beininghaus im Januar-Heft er. für die
Echtheit der bezweifelten Mediumschaft mit aller Energie
der ehrlich gewonnenen Ueberzeugung eingetreten waren.
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