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Das „Btoroenniedium" Rothe verhaftet. 249
Medium verfiel in Krämpfe und rief, vergeblich
protestirend mit kreischender Stimme um Hilfe. Dann trat
eine Vigilantin der Polizei hinzu und förderte aus
dem Unterrock der mit Händen und Füssen
gegen eine Leibesvisitation sich wehrenden
Rothe zwei Apfelsinen, mehrere kleine Orangen, sowie langstielige
Hyacinthen und Narzissen hervor. Die Rothe, ihr
Gatte, ihre Tochter und ihr „Beschützer" Jentsch wurden
sodann mittels einer Droschke nach dem königlichen Polizeipräsidium
überführt, wo sie noch in der Nacht das erste
Verhör zu bestehen hatten. Das 52jährige Medium, das
schon seit 15 Jahren ihr „lukratives Geschäft betreibt" —
angeblich betrug das Entree für jede Sitzung pro Person
10 M.! — war während des Transports nach dem Alexanderplatz
noch recht aufgeregt und fiel im Polizeigewahrsam drei
Mal in Trance, während ihr Impresario beim Verhör am
Sonntag seinen „Talisman", eine grosse Glaskugel, nach rechts
und links in den Händen hin- und herdrehte. Die Tochter
der Rothe wurde sofort, ihr Mann am Sonntag wieder auf
freien Fuss gesetzt Die Theilnehmer der S6ance hatten
sich schon an Ort und Stelle legitimiren müssen, um in dem
voraussichtlich grosse Dimensionen annehmenden ßetrugs-
prozess Zeugniss abzulegen. Bei der polizeilichen Durchsuchung
der Äö/Äe'schen Privatwohnung wurden die ziemlich
weit zurückreichenden Listen der Sitzungsteilnehmer
beschlagnahmt, worunter sich Namen der höchsten
Aristokratie finden. Schon am Montag wurden sodann
zahlreiche Personen, deren Adressen so ermittelt waren,
polizeilich vernommen, wobei sich ergab, dass theilweise
hohe Eintrittsgelder bezahlt wurden; alle erklärten
übereinstimmend, sie hätten Schwindel für ausgeschlossen
gehalten, ja einige sprachen sich mit aller Entschiedenheit
dahin aus, dass sie trotz dieser der königlichen Staatsanwaltschaft
gelungenen Entlarvung von der Echtheit des
Mediums noch immer überzeugt seien. — Nach Nr. 106 der
„ Deutsch. Tageszeit." wird der von der Kriminalpolizei
gegen die „Geisterwelttt aufgenommene Kampf „mit grosser
Entschiedenheit weiter geführt, um das Spiritisten- Unwesen
gänzlich auszurotten"! Erschwert werde die
Thätigkeit der Polizei dadurch, dass in den meisten Cirkeln,
deren in Berlin mehr als 200 existiren, Eintrittsgelder nicht
erhoben werden und somit im allgemeinen der Dolus
des Betrugs fehlt. Da sich jedoch die „Geister" z. ß.
bei Vermächtnissen vielfach in Familienangelegenheiten
mengen und durch Rathschläge und Anordnungen
einzelne Personen schädigen, so soll in solchen Fällen,
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