http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1902/0261
Das „Bluinenmedium** A. Rothe verhaftet.
251
Bei der Haussuchung in ihrer Berliner Wohnung (Gleditsch-
strasse 6) fanden sich in Kofiern verpackt und fest verschlossen
allerlei Requisiten für die Söancen vor. Einen ihrer
Helfer hatte sie beauftragt, bei einer Berliner Firma
Aquarien zur Aufzucht exotischer Gewächse und Zierfische
zu bestellen, deren Bezahlung Jentsch verweigert. Ein
Schwiegersohn der Rothe ist Mitbesitzer einer Reichenhainer
Gärtnerei und sein Vater besitzt eine solche in Chemnitz.
Letzterer gab zu, von dem betrügerischen Treiben der Rothe
Kenntniss gehabt zu haben; er wunderte sich immer, „dass
die Dummen nicht alle werden, die an solchen Humbug
glauben", und fügte entschuldigend bei: „Wovon anders
hätte sich denn Frau Rothe ernähren sollen?" —
Für die Möglichkeit einer milderen Auffassung scheint
uns jedoch die neuestens von Dr. Pierre Janet, Professor der
Experimentalpsjchologie an der Sorbonne und Direktor des
psychologischen Laboratoriums an der Klinik der Salpetridre
in Paris, auf Grund längerer Beobachtungen an einem
ähnlichen „Apportmedium" aufgestellte Erklärung durch
hysterische Selbsthypnose, resp. Autosuggestion zu sprechen,
worüber wir unsere Kurze Notiz b) zu vergleichen bitten.
Jedenfalls ist es aber aus sachlichen und logischen Gründen
ganz unzulässig, aus diesem einzelnen Fall der nun nicht
mehr zu bezweifelnden Entlarvung eines uns wie allen besonnenen
Erforschern des okkulten Gebiets von Anfang
an betrügerischer Manipulationen dringend verdächtigen
Mediums, nach dem Muster schlecht orientirter und schadenfroher
Zeitungsreporter, einen Schluss auf sämmtliche Medien
zu ziehen oder gar die nicht zu leugnende Niederlage der
Anhänger eines Pseudomediums als „Ende des Spiritismus"
auszuposaunen, anstatt nur eine erneute Mahnung zu peinlichster
Vorsicht bei Ergründung so verwickelter psychologischer
Probleme darin zu finden.*) —
*) Wenn sieh freilich bestätigt, was aus Chemnitz gemeldet (aber
wieder offiziell vom „Chemn. Tagebl/ bestritten) wird, dass die Polizei
bei den dort und in der Umgebung bei Verwandten der Rothe abgehaltenen
Haussuchungen unter zahlreichen und sie schwer kompromit-
tirenden Briefen und beschlagnahmten Schriftstücken auch einen von
ihr selbst einem Verwandten geschriebenen Brief fand, worin sie vor
ihrer Uebersiedelung nach Berlin die Erwartung ausspricht, dass auch
dort „der Humbug seine zahl enden Gläubiger finden werde",
so könnte von unbewusstem, bezw. pathologisch zu beurtheilendem
Betrug selbstredend nxht mehr die Rede sein Die moralische
Nichtswürdigkeit des Paars, das lediglich aus schnödem Eigennutz
mit den heiligsten Gefühlen Leichtgläubiger ein frevelhaftes Spiel
getrieben hätte, wäre dann so gross, dass auch die härteste gesetzlich
zulässige Strafe nur wohl verdient erscheinen müsste. Unfasslich
blieb uns dabei freilich, dass Personen, an deren Ehrlichkeit doch
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1902/0261