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252 Psychische Studien. XXIX. Jahrg. 4. Heft. (April 1902.)
Kurz vor Redaktionsschluss erhalten wir noch eine
Broschüre mit dem vielversprechenden Titel: „Das spiritistische
Medium Anna Rothe ein echtes Medium und wissenschaftlich
nicht entlarvt! Nachgewiesen von Dr. Egbert
Müller" (Berlin 1902, Verlag von F. Schlosser, 20 Pf.), worin
der Verf. mit Aufwendung von viel juristischem Scharfsinn
und okkultistischem Wissen den .Nachweis versucht, dass
dem jetzt „mutterseelen allein und verlassen vor der Kriminalbehörde
stehenden wahren und wahrhaftigen Medium
bitteres Unrecht geschehe". Der angetretene Beweis stützt
sich auf eine „rigoros geführte Prüfung des Mediums" vor
einer Sitzung am 22. Februar er., wobei letzteres in einen
aus schwarzem Zeug hergestellten Schutzsack so fest eingeschlossen
gewesen sei, dass bei der fest an der Taille anliegenden
Umwicklung der Sackschnürung ein Durchgreifen
mit den Händen durch die Zwischenabstände der Riegel
unmöglich gewesen wäre. Weiterhin beruft sich Verf. auf
sein „auf Erfahrung gegründetes exaktes Wissen von der
Diemphanie des Menschenwesens, d. i. von der Möglich-
k.eit Doppelgängerschaft oder der Doppelerscheinung
eines Menschen", und nimmt weiterhin eine Besitzergreifung
der Apport - Objekte vermittelst dieser Diemphanie durch
die Dämonen an, welches „erste Stadium für die Ermöglichung
der Greif-Apporte" das ,.Stadium der Detention"
genannt wird. Zur Erklärung der Unsichtbarmachung der
Apport-Objekte durch die Dämonen (!) wird „die Hypothese
der M i k r o 81 y p s i e " d. i. die Zusammenziehung der Objekte
zu einer kleinsten Grösse beigezogen. In diesen beiden
Stadien können „Nicht-Adepten auf dem Gebiete des Spiritismus
zur Verneinung einer Entlarvung des Mediums ge»
langen"; erst wenn ein Greif-Apport-Medium im 3, Stadium
der Apport-Objekte entlarvt wird, im Stadium der Demonstration
d. i. der Hervorweisung der Apporte, sei es
entlarvt. — Auch Herr Dr. v. Gaj schreibt uns aus Jaska
dat. 12. März u. a.: „Im Falle Rothe ist bis dato gar nichts
bewiesen, was unwiderleglich als Beweis eines bewussten,
kaum gezweifelt werden kann, wie namentlich der in okkultistischen
Dingen so erfahrene Prof. Sellin, der die von ihm so leidenschaftlich
vertheidigte Frau fast ein Jahr lang aufs genaueste beobachtet zu
haben versicherte und mit ihr sogar Ileisen ins Ausland machte,
sich von einer gemeinen Schwindlerin so gründlich an der Nase
herumführen lassen konnten! Hoffentlich würde dieser erst hierdurch
„typisch* gewordene traurige Fall auch den überzeugtesten Spiritisten
klar beweisen, wie berechtigt gegenüber boicher blinder Vertrauensseligkeit
unser skeptisches Misstrauen, bezw. unsere oft wiederholte
Mahnung zu kritischer Vorsieht war, und ihnen zur Warnang für
die Zukunft dienen. — Ked.
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