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Wagen mann: Drei Arme am Leibet
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fraglichen Vorfall erst wieder Beachtung schenkte, als ich
neuerdings von dem noch immer in verschiedenen Tagesblättern
„spukenden Hühnerauge" las.*)
Es war in der Nacht vom 18. auf 19. Dezember 1889,
als ich, wie mir dies öfters passirte, aus dem Grunde erwachte,
weil mein rechter Arm vollständig erstarrt war. Durch das
Gewicht des auf dem Oberarm aufruhenden Kopfes war
nämlich der Blutumlauf im ganzen Arme gehemmt worden,
und zwar dies Mal in solchem Maasse, dass mein rechter
Arm völlig leblos, kalt, und ohne jede Spur einer Empfindung
schlaff am Körper hing.
Im Momente des Erwachens wusste ich sofort, was mir
nun wieder passirt war, und diese Erkenntniss vertrieb mir
auch den letzten Rest einer etwaigen Schlaftrunkenheit
augenblicklich, denn nun handelte es sich darum, mit aller
Vorsicht den Arm wieder ins Leben zurückzurufen. Ich
kannte das wirklich schmerzhafte und unheimliche Gefühl,
welches durch zu rasches Wiedereinströmen des Blutes verursacht
wird, aus mehrfacher Erfahrung; auch war ich mir
der damit verbundenen Gefahr bewusst, und ich bot deswegen
alles auf, um derselben zu begegnen. Dies Mal war der
Fall besonders schwer, denn solche Eiseskälte,
solche Erstarrung meines Armes hatte ich vordem noch
nie beobachtet. Ich wollte dies Mal also recht sorgfältig
zu Werke gehen, und brachte mich deshalb zunächst in
eine bequeme Lage, um besser operiren zu können. Zu
diesem Zweck legte ich mich gerade auf den Rücken,
dann ergriff ich mit der Linken meinen wie todt daliegenden
rechten Arm und legte ihn quer über die Brust.
Hierbei hatte ich die Empfindung, als würde ich einen
fremden, schweren und eiskalten Körper in der Hand halten
und ihn in die besagte Stellung legen. Nun fühlte ich mit
*) Vergl. November-Heft vor. J. S. 707 ff. Wir verdanken obige
Mittheilung, die einen sehr werthvollen Beitrag zur Lösung der
Streitfrage über die bekannten Integritätsgefühle im Sinne
du Prel's bildet, dem Umstand, dass das in meiner Vaterstadt Stuttgart
erscheinende „Neue Tagblatt* (die gelesenste Zeitung Württembergs)
seiner Zeit den von uns im Oktober-Heft v. J. S. 634 durch Herrn
Perle berichteten „Spuk im Hühnerauge* mit den missverständlichen
Bemerkungen eines Einsenders der „Voss. Ztg." zum Abdruck
brachte, und meine Berichtigung dieser leider erst drei Monate später
zu meiner Kenntniss gelangten Notiz im Feuilleton des genannten
„General-Anzeigers für Stuttgart und Württemberg* vom 24. Januar er.
die Erinnerung des geehrten Herrn Verfassers (der als Ingenieur in
der Elektrotechnischen Fabrik in Cannstatt thätig ist und in seiner
im Märzheft S. 192 erwähnten Schrift „Künstliches Golda die Lösung
des uralten Problems der Entdeckung eines rationellen Verfahrens
zur Umwandlung der Stoffe versucht hat) an ein ähnliches Erlebniss
wachrief. — Dr. t\ Maier.
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