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268 Psychische Studien. XXIX. Jahrg. 5. Heft (Mai 1902.)
seinem Sturze und der Wiederkehr der Bourbonen enden
sollte.*)
Wahrlich kein Zufall ist es, dass am Tage nach dem
eben erwähnten feierlichen Te Deum in Notre Dame im
offiziellen „Moniteur" die Ankündigung von Chateaubriand^
„Genie du Christianisme" steht. Die Emigranten kehren
zurück und in Gesellschaft, Litteratur und Politik beginnt
nun die dunkelste Reaktion. — Am Beginne dieser traurigen
Epoche steht aber noch eins lichtvolle Gestalt: Anne Marie
Germaine Necker, verehelichte Baronin Slael-Holstein. Mit
ihren Briefen über Rousseau führte sie sich als dessen begeisterte
Verehrerin ein, aber als .Gegnerin des skeptischen
Voltaire. Sie glaubt an eine Veredelung der Menschheit und
an die Vervollkommnung der Gesellschaft; in Napoleon sieht
sie blos einen „Robespierre zu Pferde", keinen Beschützer der
Freiheit.**) Es charakterisirt sie als Vorläuferin der Romantik
, dass sie, als Protestantin, zum Katholizismus hinneigte,
und mit ihr beginnt gewissermassen ganz leise, angesichts der
Gräuel der Revolution, die sie, die Tochter Neeker*% geschaut,
der Rückschlag im Namen des Herzens und des Gefühls.
Sie fühlt sich abgestossen von jenen blutigen Umwälzungen,
verlangt, echt romantisch, dass wir wieder einfältig wie
Kinder werden müssen. Als das Höchste erscheint ihr der
Spiritualismus in Kunst und Philosophie, und sie will, wie
Chateaubriand, Beides auf dem Christenthum basiren lassen.
Es versteht sich, dass sie, die Idealistin, welche an ein
absolutes Sittengesetz glaubt, den Materialismus und die
Encyclopädisten hasst. „Kant und Fichte's Pflichtlehre, sowie
Schiller** idealistisches Pathos verkünden aber gerade jene
Souveränität des Geistes, an die sie ihr ganzes, Leben hindurch
geglaubt hatte. Diese grossen Denker beweisen sie
ja, dieser begeisterte Dichter offenbarte sie ja in jedem
seiner Gedichte: die Unabhängigkeit des Geistes von der
*) Wie richtig diese Bemerkung ist, zeigen die schweren Kämnf e,
welche jetzt die 3. .Republik mit dem Klerikalismus in Frankreich
zu bestehen hat. — Ked.
**} Die rSchlossheirin zu Coppet" wird Madame de Slael oft
genannt, da sie sich, nachdem sie von Napoleon (1803 und 1807) des
Landes verwiesen worden war, auf ihr Sehloss zu Coppet am Genfer
See (Canton Waadt) zurückzog. Dort übte sie, Benjamin Vonstant und
A. fr, v. Sehlegel an der Seite, eine Gastfreundschaft im grossen Stile
und hielt förmlich Hof im Beiehe der Geister. Preussische Prinzen
und polnische Fürsten huldigen ihr; der Däne Oehlenschläger, der
Nationalökonom Sismondi, Bayle; die deutschen Dichter Vhamisso,
Zacharias Werner; der geniale Byron, Frau von Kriidener, die reizende
Madame Mecamier, sie Alle gaben sich in Ooppets Eäumen ein Stelldichein
. An der Seite ihres Vaters, des genialen Finanzmanns Kecker,
liegt die Slael auch in Coppet begraben, (t 14. Juli 1817).
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