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Dankmar: Geistige und soziale Strömungen etc. 273
hinaus zu vermehren, und dass er, wie dieser, moralische Enthaltsamkeit
, Erschwerung der Eheschliessung u. s. f. forderte.
Graf Joseph de Maistre (1754—1821) ist der grimmigste
Vertheidiger des kirchlichen Absolutismus und des absoluten
staatlichen Autoritätsprinzips, der „Paradoxenschmied" der
Reaktion, die wichtigste Stütze der Contrerevolution. Sein
Papstbuch („Du pape" 1819) entwickelt die Grundprinzipien
einer Theokratie und erläutert, dass es ohne den Papst
weder Souveränität, noch Autorität geben könne. Der König
ist mit demselben Rechte absolut, mit dem der Papst unfehlbar
ist* Die souveräne Monarchie steht über jeder Kritik,
sie ist ein Mirakel und „statt sie als solches zu ehren,
schelten wir sie Despotie. Der Soldat, welcher einen Menschen
nicht tödtet, wenn sein legitimer Fürst ihm das befiehlt,
ist nicht weniger schuldig als der, welcher einen Todtschlag
ohne Ordre begeht." Jede Regierung ist absolut und in-
fallibel. Die katholische Kirche ist der Grundstein jeglicher
Stabilität und ihr Souverän, der Papst, unfehlbar, weil er es
sein muss, als Vermittler zwischen Fürsten und Völkern.
Nicht die Dogmen, nicht der ethische Gehalt, sondern die
innere Festigkeit der Organisation entscheidet allein über
den Werth der Kirche: „Le dogme capital du catholicisme
est le souverain pontife. Les droits du souverain pontife
et sa suprömatie spirituelle forment Pessence meme de la
religion". Seine philosophischen Anschauungen entwickelt
de Maistre in seinen „Les soirees de St. - Petersbourg ou
entretiens sur le gouvernement temporel de la providence"
(1821). Die Ungerechtigkeit ist eine Folge der Erbsünde
, ein Gesetz des Erdenlebens, folglich auch ein
Gesetz jeglicher Gesellschaft. Die Abbüssung der Erbsünde
ist die Lebensaufgabe der Menschen, folglich — sollen die
Regierungen, welche absolut sein müssen, die Menschen durch
Strenge zur Busse anhalten. In der Natur, wie im Staat
gilt das Recht des Stärkeren, und der Krieg ist ein ständiger
Zustand der Menschheit: daher das hohe Ansehen des
Soldatenstandes. Die Antisemiten, welche (ob mit Recht
oder Unrecht bleibe hier unentschieden) die Juden der
Verwendung von Menschenblut zu gottesdienstlichen Handlungen
beschuldigen, seien hier ausdrücklich auf folgende
Sätze dieses katholischen Reaktionärs aufmerksam gemacht
: „Nur durch Blut kann der Himmel versöhnt werden.
— Die Alten glaubten, dass die Götter überall hin zueilten,
wo Blut von den Altären strömte; die ersten christlichen
Lehrer glaubten dasselbe von den Engeln. — Vergossenes
Blut hat eine sühnende Kraft. — Das Kreuz bezeugt die
Erlösung durch Bluta. Die Weltgeschichte ist ein einziges,
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