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304 Psychische Studien. XXIX. Jahrg. 5. Heft. (Mai 1902.)
die begeisterte Spiritistin von einer dort vorzüglich gelungenen
Sitzung und fügt bei, Interessenten hätten diesem
neuesten Medium, das sich nun von der schwedischen
Universitätsstadt Lund nach Kopenhagen und von da nach
Berlin zurück begab, für zwei Sitzungen je 100—150
Kronen angeboten, die sie aber zurückgewiesen habe, da
sie nur ,,aus Liebe" der Einladung gefolgt sei. — Selbst
nicht ganz ungläubige Kreise trauen aber dieser Dame
schon lange nicht mehr. Ein sich leider nicht nennender
Herr, dem die schwer zu erlangende Gunst zu theil wurde,
einer ihrer Materialisationssitzungen beizuwohnen, berichtet
unter obiger Spitzmarke nun darüber, wie folgt, in der
agrarisch-konservativen „Deutsch. Tagesz." Nr.. 159 (1. Beibl.)
vom 6. April er.:
„An einem Sonntag Nachmittag um 6 Uhr versammelte
sich bei Frau Abend eine kleine, fast nur aus der Aristokratie
bestehende Gesellschaft.
Nach längerer gründlicher Prüfung des Kabinets des
Mediums, des Stuhles, der darin stand, und der Kleidung,
die das Medium anzulegen beabsichtigte, begann nach 7 Uhr
die eigentliche Sitzung. Nachdem allen Theilnehroern ihre
Plätze angewiesen waren, wechselte Frau A. die Kleidung
und nahm in dem Kabinet Platz. Die Vorhänge wurden
mit einer Sicherheitsnadel zugesteckt, das Zimmer fast ganz
verdunkelt. Nach einem Gebet, das der Ehemann des
Mediums, Schuhmacher Abend, sprach, einigen Gesängen
und ViolinVorträgen, welche die nöthige Andacht wecken
sollten, theilten sich die Vorhänge des Kabinets und heraus
trat das Medium mit leuchtendem Gesicht und leuchtenden
Händen. Es hielt eine „Trance-Rede" (im Bericht heisst
es durchweg: „Traumrede" — Red.), die aus spiritistischen
und philosophischen Gemeinplätzen bestand und in der
Mahnung zu allgemeiner Bruderliebe gipfelte. Darauf zog
sich das Medium zurück und Gesänge und Violinenvorträge
begannen von neuem. Bald erschienen den gespannten
Zuschauern leuchtende Wolken vor dem Kabinet, die nach
wiederholtem Verschwinden jedesmal mehr die Gestalt eines
menschlichen Wesens annahmen. Das war der Geist, nach
der Erklärung des Herrn Abend, der Geist der vor etwa
dreissig Jahren gestorbenen Schwester des Mediums. Er
forderte die Mutter der Frau A. auf, an das Kabinet heranzutreten
. Hier segnete er sie mehrmals und küsste sie laut.
Dann verschwand er, um nicht wiederzukehren. Nach einer
kurzen Pause, die fromme Gesänge ausfüllten, hielt das
Medium, zu einer zitternden Greisin erschlafft und wiederum
heftig gestikulirend, noch eine Rede, in der es sich auch
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