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Maier: „Wie es bei den Spiritisten zugeht."
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an einige Theilnehmer an der Sitzung persönlich wandte.
Dann sank es auf einen Stuhl und, nachdem der Ehemann
ein Dankgebet zum Himmel gesandt hatte, erwachte es,
indem es sich selbst magnetische Gegenstriche machte.
Das Zimmer wurde wieder erhellt, und Frau A. ging heiter
lächelnd, nur etwas über Kopfweh klagend, unter ihren
Gästen umher und fragte, ob denn auch etwas geworden
wäre, da sie nicht wisse, was im Trancezustande mit ihr vorgehe
. Das Kabinet wurde abermals eingehend untersucht.
Dann hinterliess jeder ein Geldgeschenk, ganz
nach Belieben hoch, und die Gesellschaft trennte sich:
die Neulinge gingen nach Hause und die Stammgäste blieben
noch. — Dies der Verlauf der Sitzung. Befremden erregte
es unserem Neulinge, dass Frau A. ein läuferartiges,
mit einer Schnur umnähtes Stuhlkissen ostentativ
zurückwies, und erst auf wiederholtes Drängen ihrer
Vertrauten annahm, „damit sie sich nicht so den Kopf
schlage." Das Kabinet selbst bot keinen Anhalt dafür,
dass in ihm etwas hätte versteckt sein können. Das Stuhl-
kisseu aber war sehr geeignet, etwa zum Leuchten
präparierte Schleiergewänder zu verbergen.
Dass das Medium sich in dem Kabinet nochmals umgekleidet
hatte, konnte dem aufmerksamen Beobachter
nicht entgehen. Bei Beginn der Sitzung trug Frau A. ihre
Bluse mit hinten herunterhängenden Taillenbändern über
dem Kleiderrock, nach der Sitzung war der Rock über der
Bluse geschlossen und die Taillenbänder sah man nicht
mehr. Zeit zum Umkleiden hatte das Medium genug; ein
etwaiges Geräusch übertönten die frommen Gesänge und
Violinvorträge, nur ein Knacken des Stuhles hörte man ab
und zu. Etwas auffallend war auch die Zusammensetzung
des Kostüms für die Sitzung. Ueber einem seidenen, spitzenbesetzten
Rosauntergewand trug Frau Abend einen sehr
einfachen Unterrock, einen schwarzen Kleiderrock und eine
dunkle Bluse. Wahrscheinlich hatte sie auch das verdächtige
Untergewand zu Leuchtzwecken präparirt. Die Bewegungen
des Geistes waren genau dieselben, wie sie Frau
Abend bei der Begrüssung der Gäste gemacht hatte. Als
Greisin entwickelte das Medium ein ausgesprochenes Schauspielertalent
, aber die „Trance-Rede" zeigte genau das
mangelhafte Deutsch, das an der Abend'schen Umgangssprache
auffällt. Vorsichtshalber hatte man die nicht
ständigen Besucher, die unsicheren Kantonisten, auf die
letzte Stuhlreihe gesetzt; aber selbst von hier aus sah man,
dass während der leuchtenden Geistererscheinung der Stuhl
im Kabinet leer war. Man äusserte den Wunsch, auch zu
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