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328 Psychische Stadien. XXIX. Jahrg. 5. Heft (Mai 1902.)
spiritistischen Litteratur konstatierten Fällen auch nach unserer Ansicht
unzweifelhaft angenommen werden muss, so darf diese Hypothese
bei jedem einzelnen, neu zu prüfenden Fall doch jedenfalls
erst dann beigezogen werden, wenn vorher die sog. natürlichen Erklärungsversuche
erschöpft sind. — Was vollends den traurigen „Fall
Rothe* betrifft, auf den Sie weiterhin anzuspielen scheinen, so muss
offenbar nach den neuesten Ermittelungen der Kriminalpolizei, wonach
das Paar Rothe- Jenlsch in einzelnen Privatcirkeln in der letzten
Zeit Abendeinnahmen von 850—1180 M. erzielte und eine Blumenhändlerin
, sowie ein Gärtner in Berlin, die ihre Standplätze an
Markttagen auf dem Winterfeldplatz haben, die Rothe bestimmt als
diejenige Person erkannten, die seit lange allerlei Blumen und
Tannenzweige regelmässig für 2.50—3 M. einkaufte und die letzteren
zur Ausschmückung des Grabes ihres Xindes zu verwenden behauptete
, bewusster Betrug angenommen werden, wenn derselbe
auch bei dem „Blumenmedium* selbst, dessen somnambule
Anlage (laut Mittheilung von Dr. Bohn) zwei Aerzte nach längerer
Behandlung feststellten, durch die mit hochgradiger Hysterie gewöhnlich
verbundene Lügenhaftigkeit in einigermaassen
milderem Lichte erscheinen mag, als bei dem ihren Gewinn theilen-
den und alle Arrangements mit geschäftsmässiger Schlauheit leitenden
Manager. In einem Rechtsstaat kann aber eine solche Ausbeutung
des leichtgläubigen Publikums durch schwindelhafte Bereicherungsmittel
ebensowenig geduldet werden, wie das gewerbsmässig b e-
triebene „Gesundbeten% wenn auch letzteres (vergi.Psych.
Stud. 1901, S. 758 ff.: „Heilungen durch die Macht des Glaubens*,
sowie die Lochinteressanten Ausführungen SeMng's übet Goethe in
Abth. II) bei einzelnen, verzweifelt scheinenden Fällen von jeher
erstaunliche Erfolge auf dem jedem Okkultisten wohlbekannten Wege
der S.uggestion aufzuweisen hatte. Ein Einschreiten der staatlichen
Behörden gegen betrügerischen Unfug, wie solcher notorisch
von bezahlten „Medien" vielfach verübt wird, kann also nur
luftremigend wirken, indem dadurch die spiritualistische Bewegung
von ihren schlimmsten Feinden im eigenen Lager befreit wird; und
jeder (Ihnen gewiss fernliegende) Versuch, eine so gründliche Entlarvung
, wie sie der Berliner Kriminalpolizei endlich gelungen ist,
durch die Annahme von Doppelgängerthum oder dämonischer Einwirkung
(ohne nähere Begründung für den einzelnen Fall!) u n g e -
scheuen zu machen, könnte, soweit es sich um ehrliche ver-
theidiger des betreffenden „Mediums" handelt, u. E. nur noch pathologisch
beurtheilt werden. —
Herrn Nathan Wolf, Leser der „Psych. Stud." in Heilbronn,
danken wir verbindlichst für Zusendung des Zeitungsausschnitts, der,
soweit es uns nöthig erschien und unser gegenwärtig sehr beschränkter
Raum es gestattete, in Abth. IH noch berücksichtigt wurde. Der
Brief kostete übrigens wieder 20 Pf. Strafporto.
Druckfehlerberichtigung.
Im Aprilheft war zu lesen: S. 251, Z. t v. u.: bliebe (st. blieb);
S. 252, Z. 18 v. «.: Vermeinung (st. Verneinung) einer Entlarvung; S. 253!
Z. 18 v. u.: Chemnitz (st. Chemie); S. 259, Z. 12 u.: und (st. denn)
jedenfalls.
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