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332 Psychische Studien. XXIX. Jahrg. 6. Heft. (Juni 1902.)
wir ihn, Hugo, Lamartine und Chateaubriand auf Seite einer
ganz anderen Partei finden.
Der Höhepunkt aller Reaktion tritt unter Karl X. ein,
der nach dem Tode Ludwig^ XVlIh (16. September 1824)
den Thron der Bourbonen bestieg. Wir haben oben gehört,
dass der Elsässer Bühl, als Konventskotimissär 1793 auf
offenem Platze, vor allem Volke zu Rheims die Salbölflasche
des heiligen Chlodwig an der Statue von „Louis le bien aime"
zerschmettert hatte. Als sich nun Karl X mit mittelalterlichem
Pomp am 29. Mai 1825 zu Rheims krönen und salben
lässt, — siehe da, da ist die Flasche mit Salböl wieder
vorhanden! Bekannt ist auch, dass es seit alter Zeit eine
geheiligte Ueberlieferung gewesen: dass die ^NB. legitimen)
Könige Frankreichs durch ihre Berührung Kröpfe und
Skropheln heilen können*) Das letzte Mal hatte diese
Ceremonie der geile Wollüstling Ludwig XV. vollzogen; jetzt,
nach den Stürmen der Revolution, führt im Juli 1827 KarlX.,
dieser geistig beschrankte Hohlkopf, das Amt der „Königs-
heilung4* wieder ein. Unter Führung des ersten Leibarztes
und der Leibchirurgen erwarten den König 121 Kranke;
der berühmte Chirurg Dupuytren hält ihnen die Köpfe, und
der König berührt sie mit seinen „geheiligten Fingern".
Hugo und Lamartine besingen in Oden diese Farce, aber
Beranger, der populäre Ohansonier, welcher mit dem Geiste
der Ironie die Autorität der Könige untergrub und den
,,kleinen Corporal" verherrlichte, schreibt ein Spottgedicht:
„Le sacre de Oharies le simple" mit dem Refrain: „Gardez
bien votre liberte!" In der That war diese Freiheit arg
bedroht. Unter Karl X. wurde den Emigranten eine Milliarde
Francs Entschädigung gezahlt, und das „Sacrileggesetz"
erlassen, das z. B. Entweihung oder Diebstahl der heiligen
Gefässe mit dem Tode bestrafte, was Donald in der Kammer
mit den gräuelvollen Worten rechtfertigte: „indem man das
Sacrileg mit dem Tode bestraft, sendet man nur den
Schuldigen vor seinen natürlichen Richter." Die Jesuiten
wurden wieder zugelassen, die Feiertage gesetzlich vermehrt,
*) Sie thalen das, indem sie mit über das Kreuz gelegten Fingern
die Geschwulst berührten und die Worte sprachen: „Le Roi te touche,
Dieu te guerisse**. Oft wurden aber auch Stäbe, resp. kurze Röhren
zu dieser Heilmanipulation benutzt. Im l ebrigen nehmen dieses Amt
der „Königsheilang* nicht blos die französischen Könige für sich in
Anspruch, sondern auch die englischen, sowie die Grafen von Habs-
burg. (Siehe //. E. P. Schroetter: „Geschichte des Lebensmagnetismus
und des Hypnoti«>musu S. 111 und 155 ff. Dr. H, B. Schindler: rDas
magische Geistesleben" VI, 262). lieber die Bedeutung des Zauberstabes
, vom Stabe des Hermes bis zum Conductor-Stab Mcsmer's und
seiner Schüler, siehe /. Eimemoser: „Geschichte der Magie* § 299.
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