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336 Psychische Studien. XXIX. Jahrg. 6. Heft. (Juni 1902.)
Werden, nicht im Sein gewesen und der Menschengeist das
einzige Organ seiner Offenbarung. In seinen „Untersuchungen
über das Wesen der menschlichen Freiheit14 (1809) griff er
auf Jakob Böhme zurück, sowie er früher (in seiner Identitätsphilosophie
) Spinoza!* Spuren gefolgt war. Jetzt ist ihm
Gott etwas Realeres, als die blos moralische Weltordnung.
Schelling erklärt die Entstehung des Bösen in der Schöpfung:
Gott hat den Grund seiner Existenz in sich selber, er
kann diesen nicht aufheben, aber ihn durch Liebe bewältigen
und ihn sich zu seiner Verherrlichung unterordnen
. „Auch in Gott wäre ein Grund der Dunkelheit,
wenn er sich mit der Bedingung seiner Existenz nicht zur
absoluten Persönlichkeit verbände." Schelling zeigt nun die
Manifestationen dieses mystischen Grundes im Verlaufe der
Weltgeschichte auf und kommt schliesslich zum Christenthum
: „Das Licht war yom Anbeginn in der AVeit, aber
unbegriffen und noch verschlossen: es erscheint nun, um den
persönlich Bösen entgegenzutreten, ebenfalls in persönlicher
Gestalt: Der Gott muss Mensch werden, damit der Mensch
wieder zu Gott konnte." Der Anfang, die Heilung ist ein
Zustand des Hellsehens, eine Zeit der Zeichen und Wunder,
in welchen göttliche Kräfte den dämonischen entgegen wirken.
So lauten einige Haupt-Hieroglyphen von Schelling*® Geheimkultus
, welcher auch die Unsterblichkeit für den ganzen
Menschen, bei unauflöslicher Verkettung von Leib, Seele
und Geist fordert. Auch eine neue romantische Auffassung
der Mythologie lehrt er: am Anfang der Geschichte steht
ein „goldenes Zeitalter", Götter und Heroen werden mystisch
umgedeutet und die Symbole der Mythologie als Enthüllungen
des höchsten Wissens aufgefasst. Creuzer und Daub setzen
dann diese Auffassung der Mythologie fort; jener besonders
in „Symbolik und Mythologie der alten Völker," dieser in
„Judas lschariot.u Friedr. Heinr. Jacobi (f 1819), dieser „Heide
mit dem Verstände und Christ mit dem Gemüthe," wie er
sich selbst genannt, gab am 23. September 1311 eine Streitschrift
gegen Schelling $ Naturalismus heraus: „Von den
göttlichen Dingen und ihrer Offenbarung," worin er sich
zum Glauben an einen über der Natur stehenden Gott
bekannte, zur Freiheit und Unsterblichkeit. Nachdrücklich
betont er aber, dass ein Gott, welcher bewiesen werden
könne, kein Gott sei; denn der Beweisgrund muss stets über
dem sein, was bewiesen werden soll, während er hier seine
Realität von diesem zu Lehen trägt.
Mit diesem Mystizismus verband sich aber auch ein
rückschrittliches Etwas, das allem Fortschritte abhold war,
ein Spiel mit klerikalen und vernunftfeindlichen Tendenzen
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