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Seiling: Noch einmal Goethe und der Okkultismus. 353
fülile nicht bloss eine grosse Einwirkung der unterirdisch
fliessenden Wasser, metallischer Lager und Gänge, so wie
der Steinkohlen und was dergleichen in Massen beisammen
sein möchte, sondern, was wunderbarer sei, sie befinde sich
anders und wieder anders, sobald sie nur den Boden wechsle.
Die verschiedenen Gebirgsarten übten auf sie einen besonderen
Einfluss, worüber er sich mit ihr, seitdem er eine
zwar wunderliche, aber doch auslangende Sprache einzuleiten
gewusst, recht gut verständigen und sie im einzelnen
prüfen könne, da sie denn auf eine merkwürdige Weise die
Probe bestehe, indem sie sowohl chemische als physische
Elemente durchs Gefühl gar wohl zu unterscheiden wisse,
ja sogar schon durch den Anblick das Schwerere von dem
Leichteren unterscheide."
Wie für ander* biblische Wunder, so ist Goethe, was
ferner noch nachgetragen werden muss, auch für das
Zungenreden eingetreten. Aus seiner Abhandlung „Zwo
wichtige biblische Fragen" scheinen mir folgende, auch in
anderer Hinsicht wichtige Sätze bemerkenswerth: „Die göttlichste
Empfindung strömt aus der Seele in die Zunge, und
flammend verkündigt sie die grossen Thaten Gottes in einer
neuen Sprache, und das war die Sprache des Geistes.
Das war jene einfache, allgemeine Sprache, die aufzufinden
mancher grosse Kopf vergebens gerungen. In der
Einschränkung unserer Menschlichkeit ist nicht mehr als
eine Ahnung davon zu tappen.... Die Fülle der heiligsten,
tiefsten Empfindung drängte für einen Augenblick den
Menschen zum überirdischen Wesen; er redete die Sprache
der Geister, und aus den Tiefen der Gottheit flammte seine
Zunge Leben und Licht.... Mehr als Pantomime, doch
unartikulirt, muss die Sprache gewesen sein."
Im Anschluss an diese überzeugungsstarken Worte
mögen einige weitere Aussprüche folgen, aus welchen Goethe'%
fester Glaube an das Uebersinnliche gleichfalls hervorleuchtet
. An Plessing schrieb der 33 jährige: „Soviel kann
ich Sie versichern, dass ich mitten im Glück in einem anhaltenden
Entsagen lebe und täglich bei aller Mühe und
Arbeit sehe, dass nicht mein Wille, sondern der Wille einer
höheren Macht geschieht, deren Gedanken nicht meine Gedanken
sind." — Viele Jahre später schrieb Goethe an
Boisserie: „Ehrfurcht vor der uns umgebenden geheimnissvollen
Macht in Allem zu haben und zu behalten, ist eine
Hauptgrundlage wahrer Weisheit." — An Eckermann richtete
er die prophetisch ausklingenden Worte: „In der poetischen
Region lässt man sich Alles gefallen, und ist kein Wunder
zu unerhört, als dass man es nicht glauben möchte; hier
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