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Seiimg: Noch einmal Goethe und der Okkultismus. 355
und ähnlichen Wahn möchte ich nicht einmal Aberglauben
nennen, er liegt unserer Natur so nahe, ist so leidlich und
lässlich als irgend ein Glaube." Allem Anscheine nach
hatte Goethe in diesem Falle gerade nur beim Ansetzen
der Feder eine rationalistische Anwandlung, da die Bedeutung
des Wortes „Aberglaube" gegen den Schluss hin
immer mehr abgeschwächt wird. —
Selbst zum Kapitel von der Fortdauer nach dem
Tode, zu deren Gunsten ich doch schon gegen zwei Dutzend
Aussprüche Goethe'% beigebracht habe, ist noch Mehreres nachzutragen
. In der ersten Abtheilung der „Briefe aus der
Schweiz" findet sich die Stelle: „Dass in den Menschen so
viele geistige Anlagen sind, die sie im Leben nicht entwickeln
können, die auf eine bessere Zukunft, auf ein harmonisches
Dasein deuten, darin sind wir einig." — Im
„Brief des Fastors u. s. w." heisst es: „Ich überlasse alle
Ungläubigen der ewigen wiederbringenden Liebe und habe
das Zutrauen zu ihr, dass sie am besten wissen wird, den
unsterblichen und unbefiecklichen Funken, unsere Seele,
aus dem Leibe des Todes auszuführen und mit einem neuen
und unsterblich reinen Kleide zu umgeben." — In den
„Wanderjahren" (II, 12) berichtet Wilhelm an Natalie, wie
er sich bei der Leiche eines ertrunkenen Freundes verhalten
: „Es war mir, als wenn ich in diesem Augenblicke
Wunder thun müsste, die noch innewohnende Seele hervorzurufen
, die noch in der Nähe schwebende wieder hinein«
zulocken." — Zu Eckermann sagte Goethe (Sept. 1829): „Ich
zweifle nicht an unserer Fortdauer, denn die Natur kann
die Entelechie nicht entbehren; aber wir sind nicht auf
gleiche Weise unsterblich, und um sich künftig als grosse
Entelechie zu manifestiren, muss man auch eine sein." —
Und an Knebel schrieb er (1781): „Ein Artikel meines
Glaubens ist es, dass wir durch Standhaftigkeit und Treue
in dem gegenwärtigen Zustande ganz allein der höheren
Stufen eines folgenden werth und sie zu betreten fähig
werden, es sei nun hier zeitlich oder dort ewig." —
Zur Frage der Wiedergeburt, auf welche in dieser
letzten Briefstelle angespielt werden dürfte, ist noch ein
(nach Bode) an Wieland geschriebener Satz nachzuholen,
der sich auf Goethe's Verhältniss zu Frau v. Stein bezieht:
„Ich kann mir die Bedeutsamkeit, die Macht, die diese
Frau über mich hat, anders nicht erklären als durch die
Seelenwanderung. Ja, wir waren einst Mann und Weib!"
Um allem Vorhergehenden und früher Mitgetheilten
die Krone aufzusetzen, sei schliesslich auf jene hochmystische
Frauengestalt hingewiesen, welche Goethe in
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