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372 Psychische Studien. XXIX. Jahrg. e. Heft. (Juni 1902.)
Unsere Lehre vom Tode zeigt also, dass er etwas
ganz Einfaches, Natürliches ist Der Tod ist kein König
des Schreckens, sondern ein Engel der Gnade, der dem
Menschen auf seinem Wege weiter hilft; wir brauchen
ihn durchaus nicht zu scheuen oder zu fürchten oder uns
vor ihm zu ängstigen. Natürlich, wenn wir einen Freund
verlieren, können wir nur Trauer über die Trennung empfinden,
gerade wie wir sie fühlen, wenn er für immer Abschied
nimmt nach fernen Landen; aber mehr Trauer sollte uns
sein Tod auch nicht bringen. Wir sollten nicht mehr diese
unglücklichen Prozessionen durch die Strassen aufführen,
mit nickenden schwarzen Federn und schwarzen Behängen
und all dem Uebrigen; thun wir es doch auch nicht bei der
Abreise eines Freundes nach Afrika oder Australien. Nein,
lieber sollten wir uns bemühen, unseren Kummer zu beherrschen
. Nehmen Sie an, Ihr Freund oder Verwandter
ginge in ein fernes Land zu seinem eigenen Besten, um etwas
zu erreichen, was für ihn jedenfalls ein grosser Vortheil, ein
grosser Gewinn wäre. Sie würden traurig sein, ihn fortziehen
lassen zu müssen; aber Sie würden sicher empfinden, dass
es selbstsüchtig wäre, auf dem Verlangen zu beharren, dass
er bei Ihnen bliebe. Sie dächten dann nur an sich selbst
und an Ihre Trauer, nicht an ihn und an sein Bestes. Das
ist genau dasselbe im Fall des Todes, er ist immer zum
Vortheil des Menschen. Ich meine natürlich damit nicht,
dass der Mensch deshalb sein Leben möglichst abkürzen
müsste, damit er um so eher die grosse Region beträte; das
wäre ein verhängnissvoller Irrthum, da der Mensch sich auf
der Erde befindet, um gewisse Lektionen zu lernen und er
sie dann später erst bei seiner Wiederkehr lernen könnte,
falls er sie jetzt nicht gelernt hat. Der Mensch muss die
Gelegenheit, die ihm das Erdenleben bietet, so viel wie
möglich benutzen; es ist deshalb der Instinkt der Selbsterhaltung
, den wir alle besitzen, ein berechtigter; aber die
Furcht vor dem Tode ist kein berechtigter Instinkt, er ist
in uns herangewachsen unter der Einwirkung der falschen,
verderblichen Ansichten über die Folgen dieses vollkommen
natürlichen Ereignisses im Leben des Menschen.
Lassen Sie uns also den Gedanken in uns aufnehmen
und festhalten, dass in Bezug auf unseren eigenen Tod keine
Furcht am Platze ist. In Bezug auf den Tod unserer Lieben
ist Kummer natürlich; aber dieser Kummer sollte gereinigt
und gemildert werden durch die Erkenntniss, dass sie frei
von allen Uebeln und Beschwerden unserer Ebene sind; sie
befinden sich in einem viel glücklicheren Zustand, in einem
Zustand höherer Entwicklung, als sie hier waren. Beherrschen
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