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Maier: Die Zahl 7 im Geistesleben der Völker.
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Vorstellung von den Babyloniern angenommen hatten. Moses
vertheilte die Schöpfung auf 6 Arbeitstage und 1 Ruhetag;
was im 7. Jahre wächst, wird freigegeben; der Sklave ist
nach einer Dienstzeit von 7 Jahren frei. Die Bibel erwähnt
an vielen Stellen die Siebenzahl und deren Vielfache:
7x7,70,77. Nach der Apokalypse giebt es 7 Geister Gottes;
es stehen 7 Engel vor Gottes Thron, 7 Leuchter vor Christus
und 7 Sterne auf dessen Hand. Das Lamm hat 7 Augen,
es kommt ein mit 7 Siegeln versehenes Buch zum Vorschein,
ferner ein Drache mit 7 Köpfen, es giebt 7 Schalen des
Zornes Gottes und so weiter. Die Rabbiner lehrten, aus
der Otter werde nach 7 Jahren ein Vampyr, aus diesem
nach 7 Jahren ein Distelstrauch, woraus nach weiteren
7 Jahren ein Domstrauch entstehe, der sich nach abermals
7 Jahren in einen Dämon verwandle. Wäre der Planet
Uranus den alten Bewohnern Mesopotamiens bekannt gewesen,
so würde vermuthlich die Woche 8 Tage umfassen, es würden
8 Engel vor Gottes Thron stehen und aus der Otter erst
nach 8 Jahren ein Vampyr werden. — Im Einzelnen schildert
v. Andrian die mythische und mystische Rolle der 7 bei
zahlreichen Völkern und kommt zu dem Schlüsse: „die
kosmisch-mystische 7 strahlt von den ältesten Kultursitzen
in Mesopotamien nach den verschiedensten Weltrichtungen
aus. Die Grenzen und die Intensivität ihres Auftretens sind
an den Verkehr mit den asiatischen Kulturvölkern, erst in
zweiter Linie an die Berührung mit europäischem Ohristen-
thum geknüpft." Auf jüdisch-gnostische und christlich-
gnostische Einflüsse führt er die mystische 7 im „Neuen
Testament", in den katholischen Riten, Gebeten, Bussen,
sowie in den westeuropäischen Volksanschauungen zum
grossen Theile zurück. (Eine ursprünglich mystisch-magische
Bedeutung dürfte so auch der von den modernen Theosophen
wieder aufgenommenen Siebentheilung der Grundbestandteile
des menschlichen Wesens wie der Sphären des Weltalls im
esoterischen Buddhismus zukommen.) In den Volkstraditionen
hat indessen die 7 nicht immer eine kosmische oder magische,
das heisst abergläubische Bedeutung, sonderr« hier kommt
häufig ein gewohnheitemässiger oder sprichwörtlicher Gebrauch
der 7 vor. Allerdings erweckt ein solches Gewohn-
heitsverhältniss von vornherein den Verdacht, dass einst
mystische Vorstellungen vorhanden gewesen seieu; aber wie
v. Andrian hervorhebt, kann es auch innerhalb sehr enger
Grenzen nur auf Import aus der Fremde beruhen, da unbestreitbar
solche Erzeugnisse rein mechanischer Nachahmung
sich oft auf lange Zeit hinaus lebensfähig erhalten. Für den
Zahlenaberglauben, der sich an die 7 knüpft, ergiebt sich
Psychische Stödten. Juni 1902. 25
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