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Dankrnar: Geistige und soziale Strömungen etc. 403
wandte *) Von seinen ersten Anfängen bis in seine abgeklärte
Dresdener-Periode war Tieck stets, mit Schwankungen, dem
(mittelalterlichen) Wunderglauben zugethan und verwertete
ihn auf seine Weise. Selbst die deutschen Volksmärchen
wandelt er in diesem Sinne um. In „Der getreue
Eckart und der Tannhäuser" (1799) wird, wie Haym sagt, „die
grauenvolle magische Gewalt, mit welchem der Höllenzauber
des Venusbergs auf die Sinnlichkeit wirkt, mit lebendigen
Farben gemalt." Schon in „Der blonde Eckbert" (1797) hatte
Tieck eine Dichtung geschaffen voll höchsten Tiefsinns, welche
den Menschen in inniger Beziehung zu räthselvollen Naturgeistern
und das Walten einer ewigen, unentrinnbaren
Gerechtigkeit zeigt. Ritter Eckbert und dessen Gattin Bertha
werden stets von dem begangenen Unrecht verfolgt; wo ihm
Eckbert zu entfliehen glaubt, ist es da; es versteckt sich
hinter gespenstischen Larven und verbirgt sich hinter
täuschendem Glück. Mit vollendeter Virtuosität ist die
lähmende Faszination des „Liebeszaubers" in der gleichnamigen
Novelle (1812) geschildert und schon in „Abdallah"
(1796) werden „alle Register des Entsetzens aufgezogen", als
dem jungen, von dem Dämon Omar zum Vatermorde verführten
Abdallah der Geist des Gemordeten beim Hochzeitsmahle
erscheint.
„Aberglaube ist besser als Systemglaube", hatte der so
früh dahingegangene Freund Tieck's, W. H. Wackenroder
gesagt, und als jener mit diesem vor den düsteren Ruinen
der Burg Berneck im Fichtelgebirge stand, entstand in
seinem Geiste der Plan zu einer schauervollen Gespenstergeschichte
, welche Grillparzer's „Ahnfrau" noch übertrumpfte:
„Karl von Berneck", einem Trauerspiel in fünf Akten. Ein
in der Burg umgehendes Gespenst, der Geist eines Brudermörders
, kann nur dadurch versöhnt werden, dass von zwei
Brüdern dieser Familie, dessen Ahnherr das Gespenst ist,
der Eine dem Anderen freiwillig, ohne Hass den Tod giebt.
Dieses schwierige Problem wird durch einen Gatten-, Mutter-
und Brudermord und das Eingreifen des Geistes der Mutter
gelöst. In Tieck's (realistische) Dresdener Periode, in der er
wohl das Abgeklärteste schuf, fallen zwei Novellen, in welchen
er den Spuk-, Gespenster- und Schicksalsglauben im Sinne
E. Th. A. Hoffmann*$ und Müllner's geisselte. Trotzdem schrieb
er aber — zur selben Zeit — zwei richtige Gespenster-
*) Als Tieck von 1805—1806 in Eom verweilte, verbreitete sich
das nie ganz widerlegte Gerücht: er sei zum Katholizismus übergetreten
. Tieck verneinte das stets; fest steht, dass seine Frau und
Töchter später katholisch wurden. An Tieck's Grabe sprach — auf
Tieck's Wunsch — ein protestantischer Geistlicher.
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